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136 Psychische Studien. XL Jahrg. 3. Heft. (März 1884.)
eine furchtbare Niederlage erlitten, 2000 Mann, 4 Urupp'sche
und 10 Galling - Kanonen verloren und mit genauer Noth
sein und seiner nächsten Generalstabs-Officiere Leben nach
Suakim zurück gerettet habe. Die übrigen sind also vom
Lande verschlungen! General Gordon mit seinen goldbe-
ladenen Kamelen dürfte dem Mahdi gefährlicher werden,
wenn sich seine hellsehende Voraussicht auch gegen diesen
nicht ebenso schlagend bewährt wie bisher.
„Sie werden vom Wasser und vom Lande
verschlungen werden!" hat der Prophet seinen
getreuen Anhängern geweissagt, und neuerdings durchzittert
den Telegraphen die Trauerkunde auch des Falls von der
Festung Tokar vom 21. Februar er* Kassala, Char-
t u m und selbst Suakim sind von den Heerschaaren
des Mahdi und seines Reiterfeldherrn Osman Digma belagert
, und steht ihnen wohl ein gleiches Schicksal bevor,
wie Sinkat und Tokar, trotz Gordoris Mission.
Der Mahdi ist offenbar ein sogenannter Ssüfl, welcher
nach Friedrich von Bodenstedt^ höchst scharfsinnigen Artikeln
über „Orientalische Litteratur" im „Magazin für die Littera-
tur des In- und Auslandes" vom Januar er, ,.seine Er-
„kenntniss sucht und gewinnt nicht durch Studium, nicht
„durch das Ergebniss wissenschaftlicher Forclrang, sondern
„lediglich als Resultat eines beschaulichen Lebens, tiefer
„Einkehr in sich selbst und dadurch bewirkter Vereinigung
„mit Gott. Diese Vereinigung ist jedoch nur zu erreichen
„durch völlige Abkehr des Menschen von der Welt und
„völlige Ueberwindung aller Leidenschaften. Wer noch
„etwas wünscht, hofft oder erwartet ausser der Wahrheit,
„dem bleibt diese selbst unzugänglich, gerade wie dem, der
„nicht einsieht, dass es völlig gleichgiltig ist, Jude,
„Christ oder Moslem zu sein, um zur Wahrheit zu
„gelangen. Schon das ehrliche, uneigennützige Streben
„nach ihr hebt alle Glaubensunterschiede auf, und ein
„S s ü f i, der auf der höchsten Stufe der Erkenntniss steht,
„bedarf gar keines Glaubens mehr, weil ihm seine unmittelbare
Anschauung zugleich zur untrüglichen
„Offenbarung wird. — Hier ist der Gipfel und Wendepunkt
des Ssüfismus, wo er sich mit dem unfehlbaren
Papstthum, oder mit dem Propheten-
„thum berührt, wenn der Ssüfi sich zu einer grossen
„Sendung berufen glaubt, weil die Macht seiner Persönlichkeit
überall, wo er sein Wort ertönen lässt, ihm begeisterte
„Anhänger zuführt. — In diesem Sinne war Muhammed
„selbst ein Ssüfi, der sich gedrungen fühlte, die Welt
„durch seine Offenbarungen zu beglücken. Ihm folgten
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