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164 Psychische Studien. XI. Jahrg. 4. Heft. (April 1884.)
Welches Kriterium besitzen wir dafür, was absolute
Wirklichkeit und was absolute Einbildung oder
Vision ist? Wenn Hunderte, Tausende, ja über einige
Millionen Menschen, gegenüber so vielen Hundert Millionen
Ungläubiger, behaupten, dass sie ähnliche handgreifliche
Erscheinungen gesehen, gehört, gefühlt, kurz mit allen
Sinnen wahrgenommen haben, sollen wir da nicht stutzig
werden, ehe wir eine solche Wolke von Zeugen als für's
Irrenhaus reif erklären? Hat nicht jeder Entdecker einer
neuen Wahrheit zuerst mutterseelenallein einer Welt von
Nichtgläubigen gegenüber gestanden, bis sich deren Sinne
erst ganz allmählich für die neue Wahrheit erschlossen?
Meint der Herr Erzherzog Sich Selbst von dieser allgemeinen
Menschheits-Erfahrung ausnehmen und jede neue
Wahrheit sofort auf den ersten Blick als solche be~ und
verurtheilen zu können? Dann bescheiden wir uns!
Aber Er fühlt sehr wohl und sagt selbst: — „Das
„Erste zuzugeben und zu glauben, dass es zwischen Himmel
„und Erde noch viele Dinge giebt, welche — obgleich
„natürlich — noch lange nicht erklärt und nicht erklärlich
„sind, will ich mich darauf beschränken, die lange für echt
„gehaltene und — so unglaublich es klingen mag — noch
„jetzt unbezweifelte Mediumität Bastian'$ in das richtige
„Licht zu stellen, ohne mich an die Discussion von Theorien
„heranzuwagen, welche ich bei mangelnder philosophischer
„Bildung vor Allem gar nicht begreife und zu deren Studium
„ich weder Zeit noch Lust habe/* (S. 4.)
Ferner: — „Wen der Drang nach einer höheren
„Erkenntniss auf das Gebiet des Spiritismus verführen
„könnte, möge auf der Bahn einer ernsten wissenschaftlichen
„Forschung unentwegt weiter streben; der Spiritismus hat
„den Schleier von dem Bilde zu Sais nicht gelüftet, nur
„den Tempel der Wahrheit verdunkelt und mit Unrath von
„Irrthum und Sophistik beschmutzt. Er vergleiche den
„Stillstand, auf welchem der Spiritismus trotz Wechsel von
„Formen und Namen seit 2000 Jahren angewiesen ist, mit
„dem unerm esslichen Fortschritte, mit den an das Märchenhafte
grenzenden Errungenschaften der positiven Wissenschaft
; er schöpfe aus diesem Vergleiche die Ueberzeugung,
„dass der Erfolg nur auf der mühevollen, aber sicheren
„Bahn einer unbefangenen kritischen Arbeit winkt." (S. 101.)
Als ob die Erscheinungen des Herzschlags und der sogenannten
unwillkürlichen Functionen unseres Organismus,
zu denen selbst alle unsere Sinneswahrnehmungen und unser
Denkprozess gehören, nicht seit mehr als 2000 Jahren, so
lange die Menschheit existirt, mit den gleich unbewussten
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