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Wittig: Einblicke eines Erzherzogs ete.
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meinsamen naiven Gespenster- und Geisterglauben und suchen
denselben je nach ihrer Art zu stützen. Wenn auch Baron
Hellenbach behauptet, seine Geistertheorie sei kein Spiritismus
, so ist dieses doch nur insofern richtig, als sie gerade
keinem Vulgo-Spiritismus als Religionssekte huldigt, sondern
auf bessere Beweise als dieser und auf philosophisch-metaphysische
Schlussfolgerungen fest und unerschütterlich gestützt
zu sein glaubt. Das ist jedoch nur eine sehr schwache
Grenzlinie oder Scheidewand, die ihn von den religiös angehauchten
Spiritisten selbst der Kardec'sehen Schule trennt.
Auf seinem Wege der Beweisführungen muss er in natur-
nothwendiger Consequenz im Kardekismus endigen» Dieser
glaubt an ein Vor- wie Nachleben der menschlichen Seele
in wiederholten Emkörperungen mit traumhafter Rücker-
innerung behufs fortschreitender Besserung und Veredlung
des Geistes. Es ist die uralte Seelenwanderungs-Lehre in
etwas modernisirter Form. Wer auf dem Boden seiner
Erkenntniss-Prinzipien nicht ganz fest und sicher steht,
sehe sich ja vor, dass er nicht ausgleite und in den Abgrund
dieses Labyrinths sich immer weiter am Faden der
Phantasie wie die Mährchen aus 1001 Nacht fortspinnender
Schlussfolgerungen hineinstürze. Nur der schärfste erkennt-
niss-theoretische Kantische Kriticismus vermag aus ihn wieder
herauszuleiten. Wir müssen uns von der Ueberzeugung durchdringen
lassen, dass wir zwischen a priori-Prinzipien und
a posteriori-Schlussfolgerungen aus Thatsachen wohl zu
unterscheiden haben. Zu den ersteren gehören die An-
schaiiiingsformen von Raum und Zeit, die Gesetze der Einheit
und Vielheit u. s. w., und in diesen beiden ruhen
implicite auch die Ideen der Gottheit und der Geisterwelt.
Diese begleiten uns durch alle sinnlichen Raum- und Zeitanschauungen
. Wir sind gezwungen, alle Dinge, schliesslich
das ganze Universum, auf eine Ureinheit, auf eine letzte
Ursache zurückzubeziehen, welche wieder ihre geistigen
Untereintheilungen, Individuationen oder Individuen hat,
die eine unendliche Folgekette bilden. Da das Zusammenfassen
unseres eigenen Wesens zu einer bestimmten, von
Andern unterschiedenen Einheit eben die Kraft der Personifikation
unseres Selbst ist, so üben wir diese Kraft
auch auf alle anderen Erscheinungen um uns her aus und
personifiziren dieselben gleich uns selbst. Die poetische
Phantasie schwelgt bekanntlich in dergleichen anschaulichen
Personifikationen. Wolken, Winde, Gewässer, Wälder, Gestirne
, kurz Alles, was sich irgend als Erscheinung regt und
bewegt ausser uns gleichartigen Wesen, wird aus diesem
Grunde personifizirt oder zu geistigen Einheiten oder Gott-
Psysohitche Studien. April 1884. 12
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