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170 Psychische Studien. XI. Jahrg. 4. Heft. (April 1884.)
heiten gleich unserm eigenen Selbstbewußtsein erhoben.
Hierin liegt die Genesis, weshalb wir auch andere befremdlichere
, als die gewohnten Erscheinungen, ausser, an oder
in unserem Organismus, sofort und zuerst ganz unwillkürlich
einer eigenen, sie belebenden, einheitlichen, geistigen Ursache
zuschreiben. Unverstandene Aeusserungen oder Wirkungen
unseres Organismus oder unbewusste Reflexe unseres Gehirnlebens
müssen uns immer zuerst wie fremde Geisterwirkungen
anmuthen. Erst nach und nach und durch eine lange Beobachtung
und Vergleichung lernen wir in diesen unbe-
wussten Thätigkeiten unseres Seelenlebens das eigene nur
vielfältig gebrochene und verzerrte Spiegelbild unseres Selbst
wieder erkennen. Von ihm aus bis zur Ermittelung eines
wirklich abgeschiedenen Geistes des Jenseits ist aber noch
ein gar unendlich weiter "Weg! Die Brücke in's Jenseits
soll noch über die Abgründe unseres blossen Wünschens,
Hoffens, Sehnens und Glaubens hinüber an's Ufer einer
zweiten transcendenten Wirklichkeit aus dem Diesseits geschlagen
werden. Vielleicht sind wir bei den mediumistischen
Erscheinungen auf der rechten Spur der Bildung einer solchen
Regenbogenbrücke in's Unendliche und Ewige; — aber wie
die Erforschung derselben bis jetzt betrieben worden ist,
verspricht es noch lange kein vertrauenssicheres Bauwerk einer
solchen wünschenswerthen festgegliederten Kettenbrücke.
Alle Erscheinungen unserer Sinne, welche die höchst
komplizirt zusammengesetzten und regulirten convexen Objektivgläser
der Wirklichkeit sind, müssen in und durch die
concaven Okulargläser unserer vielfach stimm baren seelischen
Empfindungswelt, ehe sie unser Selbstbewusstsein und unser
Wollen anzuregen im Stande sind. Auf die exakte Einstellung
dieser Okulargläser zu ihren Objectivgläsern kommt
es hauptsächlich an, wenn wir die Wirklichkeit der Dinge
genau und scharf erkennen oder in den richtigen Fokus
bringen wollen* Dazu gehört eine unendlich feine Mikrometerschraube
, welche wie Zuneigung und Abneigung, Liebe
oder Hass wirkt und uns die Objecte bald entsprechend
nähert, bald entfernt. Ohne diese so verschieden einzustellenden
Okulargläser unseres Selbstgefühls vermögen
wir überhaupt nicht das Geringste in der Welt zu erkennen
und zu beurtheilen. Durch dieses Alles zusammenfassende
Selbstgefühl sind wir allein im Stande, alle Dinge und
deren Wirkungen zu begreifen. Wir können es auch das
Gemüth (die Psyche) nennen. Die höchste wissenschaftliche
Objectivität bei Beurtheilung aller Dinge ist ja nur
durch den grössten Gleichmuth zu erreichen. Wer sich
durch Leidenschaft, ^Vorurtheil und Hass, Vorliebe oder
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