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Wittig: Einblicke eines Erzherzogs etc
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Abneigung in Beurtheilung der Dinge und Erscheinungen
leiten lässt, wer ferner die Gesetze und Regulirungsverhält-
nisse seiner Okulargläser zu seinen Objectiv-Gläsern nicht
genau kennt, wie will der die Beobachtungsfehler in seinem
Erkennen der Wirklichkeit finden? Alles muss durch
unser gut oder schlecht regulirtes und eingestelltes Teleskop
oder Mikroskop des Sinnen- und Selbstbewusstseins hindurch,
und beide werden allein von unserer psychischen Kraft
des Selbstgefühls percipirt und als Erscheinungen anschaulich
projicirt. Auch sogenannte Geistererscheinungen oder
Geisterwirkungen müssen durch diesen höchst complicirten
Apparat unserer Perception und Projection. Das Ansich
der übrigen Dinge in und ausser uns nimmt bei jeder
Mikrometerschraubenwendung eine andere dunklere oder
hellere Färbung, verschwommenere oder schärfere Gestaltung
oder Erscheinung an und giebt ein entsprechendes psychisches
Reflexbild aus unserem Gesammtbewusstsein und Wollen
hervor. —
Alle sogenannten Phänomene oder Erscheinungen sind
also höchst complioirte Producte unseres Sinnen- und Denkapparats
. Beide sind mit unserer seelischen Empfindungsund
Willenskraft zugleich begabt und durch diese bestimmbar.
Und wie mannigfaltig! Das Denken, der blosse Verstand
thut's nicht blos allein in der Welt. Jede noch so richtige,
aber einseitige Verstandesberechnung wird zu Schanden an
jenen wesentlich mitbestimmenden Mächten des Empfindens
und Wollens, so bald sie sich diesen nicht gehörig einfügt.
Die bestgeplanten Schlachten gehen verloren, wenn z. B.
die Panik der Furcht ein Heer ergreift. Nicht der äussere
Nebel von Ohlum, sondern der Nebel der Ungewissheit in
den Gemüthern seiner tapferen Soldaten, welcher ihre
Willenskraft lähmte, hat Benedek die Schlacht von König-
grätz verlieren lassen. Das ist's, was man auch bei richtiger
Beurtheilung des Spiritismus im Auge behalten sollte. In
ihm offenbaren sich Kräfte des Gemüths und Willens, welche
seit langer Zeit durch bloss intellectuelle gedrillte Leiter in
der Wissenschaft und Politik niedergehalten wurden* Professor
Dilthey in Berlin hat nach Dr. Otto Giercke's in
Breslau lichtvoller Darstellung in den „Preussischen Jahrbüchern
" Februar-Heft 1884 in seiner „Grundlegung der
Geisteswissenschaften" den ebenso einleuchtenden wie fruchtbaren
Gedanken entwickelt, „dass die Erkenntniss nur ein
„bestimmter Zweckzusammenhang ist, der sich von der
„realen Totalität des einheitlich denkenden, fühlenden,
„wollenden Menschengeistes mehr und mehr abgelöst hat;
„dass auf der wachsenden Verselbständigung dieses Eeiches
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