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Anti-Spiritisinus in Wien.
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Erklärung der „natürlichen Magie" leistet er weniger als
die während der letzten Jahre in populär wissenschaftlichen
Zeitschriften erschienenen Aufsätze über dieses Thema.
Und das darf nicht Wunder nehmen. Denn so sehr es
Mr. Cumberland darum zu thun sein mag, die Menschheit
aufzuklären, etwas anders liegt ihm noch mehr am Herzen:
Geld einzunehmen, und wenn er das Publikum völlig in die
Karten blicken Hesse, würden die Einnahmen bald sehr
dünn ausfallen. Deshalb behauptet er bei seinem grössten
Kunststücke, dem Errathen der Gedanken Andrer, selbst
nicht zu wissen, wie er es mache, er könne das Gelingen
nicht garantiren, die andre Person müsse ihre Gedanken
ganz und ausschliesslich auf einen Punkt richten, seine
eigne Disposition komme ebenfalls mit in Frage, das „Gedankenlesen
" greife ihn sehr an u. s. w. Genug, der alte
Hokuspokus unter neuer Etikette! Und wie seinerzeit beim
Tischrücken und Tischklopfen, haben wir auch sofort eine
wissenschaftliche Begründung der merkwürdigen Erscheinung
erhalten. Ein Professor der Mathematik erklärte es als
wohl denkbar, dass ein Gedankenprozess von den Kopfnerven
des einen Menschen auf die Handnerven eines andern
übertragen werden könne; gegen diese Hypothese pro-
testiren aufs lebhafteste allerlei Aerzte, die in populari-
sirter Medizin machen, erklären aber zugleich vornehm, die
Wissenschaft habe mit derlei Spielereien nichts zu schaffen.
In diesem Punkte erlauben wir uns anderer Ansicht
zu sein. Der weitern Verbreitung einer Volkskrankheit
entgegen zu wirken, wäre eine Aufgabe, welche nicht unter
der Würde der Wissenschaft läge, und welcher sich zu
unterziehen die Naturwissenschaft um so mehr Grund hätte,
als sie — indirekt und unabsichtlieh — gewiss am meisten
dazu beigetragen hat, die Gemüther für den neuen Aberglauben
empfänglich zu machen. Durch hunderttausend
Kanäle ist die materialistische Weltanschauung in alle
Volksschichten geleitet worden und hat den alten Glauben
hinausgetrieben. Allein die letzten Eäthsel bleiben ungelöst
, (einige Herren scheinen die Lösung zwar gefunden zu
haben, doch behalten sie dieselbe missgünstig für sich!)
und da der Mensch, wie er einmal beschaffen ist, von der
Physik nicht satt wird, sondern nach Metaphysik*) Verlangen
trägt, anderseits aber nichts so sehr fürchtet, als auf
Gläubigkeit ertappt zu werden, so verfällt er um so
wie jener vollführt? Nachäffen kann man Alles in der Welt, aber
nicht Jedes genau unter denselben Bedingungen nachmachen. —
Die Red.
*) Vgl. rückwärts S. 172 dieses Heftes. - Die Eed.
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