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226 Psychische Studien. XI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1884.)
Lichtäther wurde von dem berühmten Astronomen Huygliens
optische Erscheinungen angewandt. Sie wurde von dem berühmten
Mathematiker Euler angenommen und vertheidigt.
Newton indess trat dagegen auf, und seine Autorität schlug
sie damals zu Boden. Sollen wir sagen, es sei seine Autorität
allein gewesen? Nicht ganz. Newtons Uebergewicht
schrieb sich zum Theil davon her, dass, obgleich Huyghens
und Euler in der Hauptsache im Recht waren, sie doch
nicht genügende Data hatten, um zu beweisen, dass sie
Recht hätten. — Letztere Theorie wurde demnach schon
aufgestellt, ehe man alle optischen Erscheinungen durch
dieselben, und zwar aus „Mangel an genügenden Daten",
erklären konnte. Taugte sie deshalb etwa nichts?! Gewiss
! Denn 1800 entschied die von Young entdeckte Inter-
ferrenz des Lichts zu deren Gunsten, und dieselbe wird wohl
gegenwärtig von allen bedeutenden Forschern als die allein
richtige und wahre anerkannt. Gesetzt nun, es gäbe noch
irgend eine optische Erscheinung, die gegenwärtig nicht
durch diese Aether-Vibrations-Theorie erklärt werden könnte,
wie würden spätere Forscher wohl über uns urtheilen, wenn
wir für dieses eine uns unerklärliche, aber faetiseh vorhandene
Phänomen ausserweltliche Ursachen, etwa die Seele
eines Abgeschiedenen, annehmen würden? Würden sie nicht
gerade so über uns urtheilen, wie wir jetzt über einen rohen
Hottentotten, welcher, falls er per Telephon in seiner Hütte
ein Concert wahrnehmen könnte, ohne Zweifel diese lieblichen
Töne himmlischen Heerschaaaren zuschreiben würde,
obwohl ihm weniger complicirte physikalische Vorgänge experimentell
fassbar gemacht werden könnten? Oder sollten
wir, falls ein solcher unerklärbarer optischer Fall vorläge,
desshalb die ganze Aether-Theorie fahren lassen, für verkehrt
, für untauglich erklären ? Doch wohl keineswegs. Ob
wir es nun mit physischen oder psychophysischen oder
psychischen Phänomenen zu thun haben, ändert an der
Auffassungsmethode über den Werth einer Theorie als
solcher gar nichts. Aus vielen anderen Wissenszweigen
könnte ich noch Beispiele derartiger Theorien anführen, die
aufgestellt wurden, lange bevor mit ihnen alle einschlägigen
Erscheinungen erklärt werden konnten, und welche sich dann
erst später nach längeren Studien und neuen Entdeckungen
als richtig erwiesen haben. Ja, wir leben gegenwärtig noch
mitten in einem „Kampf ums Dasein" derartiger Theorien,
vertreten durch die sich befehdenden Forscher. Ich erinnere
hier nur an die Darwinsche Theorie, welche noch
keineswegs überall auf festen Füssen steht und alles au erwirklich
auch auf verschiedene
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