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228 Psychische Studien. XI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1884.)
schon: dahin wird und muss es gehen, wo die Fähnlein
lustig im Winde flattern. Ja, lustig, und zwar im Sinne
der reinsten, erhabensten Geistesfreude. Wir Philosophen
und kritischen Theologen haben gut reden gehabt, wenn
wir das Wunder in Abgang decretirten; unser Machtspruch
verhallte ohne Wirkung, weil wir es nicht entbehrlich zu
machen, keine Naturkraft nachzuweisen wussten, die es an
den Stellen, wo es bisher am meisten für unerlässlich galt,
ersetzen konnte. Darwin hat diese Naturkraft, dieses Naturverfahren
nachgewiesen, er hat die Thür geöffnet, durch
welche eine glücklichere Nachwelt das Wunder auf Nimmerwiederkehr
hinauswerfen wird. Jeder, der weiss, was am
Wunder hängt, wird ihn dafür als einen der grössten Wohl-
thäter des menschlichen Geschlechts preisen."*)
Genug! Die Geschichte lehrt uns also, dass eine noch
zuerst auf lockerem Boden stehende Theorie durch spätere
Forscher ein festeres, kräftigeres, ja unzerstörbares Fundament
erhalten könne; warnt aber auch, indem sie zeigt, wie
solche Lehrgebäude gänzlich zerstört und neue von Grund
aus aufgebaut werden können, vor dem hartnäckigen Festhalten
an dem, was man einmal als wahr erkannt haben
will, weil alle Wahrheit relativ ist; heisst endlich demnach
in der Aufstellung neuer Theorien vorsichtig zu sein.
Möchten doch alle Anhänger der G e ister theo rie diese
historische Wahrheit — das fortwährende Zu-Grunde-Gehen
alter und das fortwährende Wie der entstehen neuer Theorien
im continuhiichen Flusse der Entwicklung aller Wissenschaften
— beherzigen. Mir wenigstens kommt ihr Gebahren
etwas naiv vor, wenn sie ihren Kritikern und Gegnern vorwerfen
, dass letztere — bei Anerkennung der Thatsachen —
ihre Hypothesen Gott weiss woher holen: — „Willst Du
immer weiter schweifen? Sieh' das Gute liegt so nah!" —
„während doch die Annahme von Geistern und deren Manifestationen
das Problem einfach und klar löst." Das
gerade ist ja eben der heikle Punkt, just weil dann alles
so „klar" und dann das wissenschaftliche Nachdenken über
diese Phänomene überflüssig wird, darum ist diese Theorie
zunächt absolut von der Hand zu weisen. Demgemäss sagt
Schindler sehr richtig**): — „Am wenigsten sind die zu wider-
*) Ueber die Auffassung der „Wunder" cfr. Anm. pag. 9. — Wie
aber wird uns Darwin das Wunder, dass er selbst über Wunder nachdenken
kann, dass er überhaupt als das Wunder aller Wundervertreiber
existirt, erklären können? Ist alsdann die Naturkraft, auf die er sich
überall beruft, nicht selbst das grösste Wunder? Er ficht offenbar
gegen blos eingebildete Wunder gegenüber wirklichen Natur- und
Geisteswundern. Der Sekr. d. Ked.
**) „Das magische Geistesleben" pag. 53.
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