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Nachträge zur Wiener Entlarvung. 265
sich empfehlende Hypothese hinzufügen, dass die Strömungen
zweiter Art von jenen ertser Art nur der Intensität nach
verschieden sind. Die weitere Verwerthung dieser Annahmen
wird von dem Standpunkte abhängen, den wir bei
der theoretischen Deutung der elektrischen Erscheinungen
überhaupt adoptiren. Wir schliessen uns hiebei vollständig
an die von Faraday experimentell begründete, von Maxwell
weiter ausgebildete Auffassungsweise an, gemäss welcher die
Wechselwirkungen elektrisirter oder magnetisirter Körper
nicht als Resultat einer directen Fernwirkung, sondern als
Resultat des Zustandes des zwischenliegenden Mediums zu
betrachten sind. Ist das letztere, wie z. B. die Luft, dielektrisch
, so breiten sich die in das Medium eintretenden
elektrischen Strömungen mit der Geschwindigkeit des Lichtes
nach allen Richtungen in Form von Transversalwellen aus,
welche Folgerung Maxwell zu dem wichtigen Schlüsse führte,
dass speciell das Licht nichts Anderes als eine elektromagnetische
Erscheinung sei. Auf diese Art gestattet die
Thatsache, dass der Gesichtssinn uns zur Wahrnehmung verschiedener
Farben befähigt, die Interpretation, dass ungleiche
elektrische Strömungen, die uns von Aussen zukommen,
unsere Sehnerven verschieden erregen. Wir knüpfen hieran
den Analogieschluss, dass dasselbe auch von den unseren
quergestreiften Muskeln zugehörigen Nerven unseres Leibes
gelte, und machen weiter die logisch berechtigte Annahme,
dass speciell unsere Muskeln gerade durch jene speciellen
elektrischen Strömungsformen die stärkste Erregbarkeit besitzen
, welche ihre eigenen Innervationen und Actionen begleiten
. Auf Grundlage unserer Betrachtungen ist es zunächst
möglich, die bekannte Imitationssucht der Kinder
gewissermaassen physikalisch zu motiviren. Da nämlich das
Kind in seinen ersten Enwicklungs-Stadien gegenüber äusseren
Einflüssen jedenfalls eine grössere Erregbarkeit als der Erwachsene
besitzt, so werden die elektrischen Actionsströ-
m ngen, welche die Muskelbewegungen der Erwachsenen
begleiten, in den correspondirenden Muskeln des Kindes
allerdings bedeutend schwächer, aber doch zur Innervation
der Muskeln genügende gleichartige elektrische Strömungen
erzeugen. Es wird demnach, sodald das Kind solchen
Innervationsströmungen wiederholt ausgesetzt ist, ein Reiz
entstehen, seine Muskeln in derselben Weise wie der Erwachsene
zu gebrauchen. Am deutlichsten kann man dies
bei jenen Muskel-Actionen studiren, welche zum Aussprechen
der ersten, einfachsten Worte, wie „Papaw, „Mama", erforderlich
sind. Das Nachsprechen solcher Worte von Seite
des Kindes findet erst nach mehrmaliger Wiederholung der-
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