http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1884/0276
268 Psychische 8tudien. XI. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1884.)
Zu dieser Betrachtung regt uns der Meinungskampf
an, der seit einigen Wochen in unserer guten Stadt durch
eine Eeihe dem sogenannten Spiritismus zu Grunde liegender
angeblicher oder wirklicher Thatsachen entfacht worden ist.
Den Ausgangspunkt der Bewegung, die heute alle Geister
mächtig aufregt, bot die gegen Ende des vorigen Monats
stattgehabte Entlarvung des spiritistischen Mediums Bastian
durch Kronprinz Rudolph und Erzherzog Johann; dem folgte
ein Vortrag des Professors Sirnony über eine Hypothese zur
Erklärung einzelner spiritistischer Phänomene«. Dann kamen
die bekannten Productionen des „Anti-Spiritisten" Cumber-
land, die darauf hinauslaufen, einen Theil der spiritistischen
Künste als einen in der Regel höchst plumpen Betrug
blosszulegen, bezüglich eines anderen Theiles aber zu zeigen,
dass ihnen Thatsachen zu Grunde liegen und dass blos der
natürliche Zusammenhang bisher noch unbekannt ist. Dem
gegenüber hat nun wieder gestern Professor Benedikt in
einem vor der Aerztlichen Gesellschaft gehaltenen Vortrage
behauptet, dass das sogenannte Gedankenlesen Cumberland's
ein Schwindel und die Hypothese Simontfs durchaus unwissenschaftlich
sei.
Was uns anbelangt, so haben wir den Muth, trotz der,
wie es heisst, einmüthigen Zustimmung der Gesellschaft der
Aerzte zu dem Vortrage des Professors Benedikt unumwunden
zu erklären, dass wir das Verdammungsurtheü dieses im
Uebrigen von uns hochgeachteten Mannes für unwissenschaftlich
und für verfrüht halten. Es fallt uns auch im
Traume nicht bei, für das „Gedankenlesen" Cumberland's in
die Schranken zu treten, bevor wir diese Erscheinung unter
Beobachtung der erforderlichen Vorsichtsmaassregeln und
unter Mitwirkung der geeigneten wissenschaftlichen Capa-
citäten untersucht haben. Alles, was wir diesbezüglich gesehen
und gehört haben, schliesst die Möglichkeit einer
Täuschung noch nicht aus; aber ebenso unwissenschaftlich,
als es wäre, aus einer noch nicht genügend erhärteten That-
sache ohne weiteres Schlussfolgerungen zu ziehen, für ebenso
unwissenschaftlich halten wir es, aus dem blossen Umstände,
t dass diese Thatsache noch nicht genügend erhärtet ist,
i ohne weiteres auf ihr Nichtvorhandensein zu schliessen. Wir
1 behaupten, dass Professor Benedikt mit alP den Aerzten,
\ die seinen Vortrag gehört haben, diesbezüglich auch nicht
|um ein Jota mehr weiss als wir; dass er so wenig als wir
lin der Lage ist, zu sagen, was Cumberland zeige, sei „unmöglich
" und widerspreche den Gesetzen der Natur; und
oass seine Kritik der Simont/schm Hypothese auf falschen
Voraussetzungen beruht.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1884/0276