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Nachträge zur Wiener Entlarvung. 273 j
scheinlichkeit gefolgert werden kann, dieser selbe Nerven- :
ström sei im Stande, gerade in jenen Nerven, die einer der ,
seinen analogen Functionssphäre angehören, sehr kräftige
secundäre Wirkungen hervorzurufen. Wie gering übrigens
die Analogie ist zwischen der Wirkungskraft eines Nervenoder
Muskelstromes auf das durch ihn angeregte Gefühls-,
Gedanken- oder Sinneswerkzeug auf der einen Seite, und
auf alle Arten magneto-elektrischer Apparate auf der anderen
Seite, geht ja schon daraus hervor, dass ein Nervenstrom,
der die Magnetnadel durchaus zu keinen stärkeren Schwingungen
bringt als jeder beliebige andere Nervenstrom gewöhnlicher
Art, trotzdem im Stande sein kann, zu tödten. Gleichwie
ein Pistolenschuss, der in den Schalltrichter eines Telephons
abgefeuert, demjenigen, der am Gegenapparat den
Schalltrichter an's Ohr hält, das Trommelfell zu zersprengen
vermag, ohne dass desshalb der elektrische Inductionsstrom,
welcher diese gewaltige Fernwirkung vermittelt, die Magnetnadel
empfindlicher in's Schwanken bringt als der leiseste
Flüsterton, ebenso lässt sich aus der geringen oder gänzlich
fehlenden Einwirkung der Nervenströme auf die umliegenden
Muskeln und Nerven irgend ein Rückschluss auf die Intensität
und die Art der Wirkung desselben Stromes auf gleichgeartete
Sinneswerkzeuge ziehen.
Die Wissenschaft hätte längst die Verpflichtung gehabt,
sich mit einer ganzen Reihe psychischer und physiologischer
Vorgänge eingehender zu befassen, die blos aus dem Grunde
vernachlässigt wurden, weil es modern geworden war und
als Zeichen besonders sattelfester Aufklärung galt, sie zu
leugnen. Wir sprechen, im Grunde genommen, nur längst
Bekanntes aus, wenn wir behaupten, dass Jedermann, der
Lust und Geschick dazu hat, ähnliche Phänomene an sich
selber und anderen beobachten kann. Wem ist es noch
nicht vorgekommen, dass ihm Andere in schier unbegreiflicher
Weise einen Gedanken gleichsam vom Munde weggenommen
haben ? Das lässt sich allerdings oft durch Ideen-Association
und dergleichen ganz ungezwungen erklären, oft aber auch
nicht. Nehmen wir ein der wirklichen Erfahrung entnommenes
Beispiel. Herr X. hat einen Freund getroffen
und zu Tisch geladen, daran jedoch vergessen. Zu Hause
angelangt, unterhält er sich mit seiner Frau und sieht dabei
, zufällig zum Fenster hinausblickend, eine Person, die
ähnlich gekleidet ist wie der Freund, den er geladen. Das
erinnert ihn an die vergessene Einladung; in dem Momente
aber, wo er sich an seine Frau wendet, um ihr den Gast
anzukündigen, tönt ihm die Frage entgegen: „Hast du
Jemand zu Tisch geladen?" Das kann allerdings auch
Pgyohisohe Stadien. Juai 1884. 19
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