http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1884/0305
Die bisherige Mortalitäts-Statistik und ihre Fictionen. 297
Leben währt 70 Jahr, und wenn es hoch kommt, sind es
80 Jahr', Denn hierüber wissen wir heut, aller Sterblichkeits
-Statistik und Probabilitäts-(Wahrscheinlichkeits-)Rech-
nung unbeschadet, nichts mehr und nichts andres, als was
man schon in alttestamentlichen Zeiten, längst vor Graunt
und Pascal und Fermat gewusst. Und um diess Wissen vom
Menschen zu erlangen, macht man es eben ganz anders,
als in der Statistik geschieht, wenn die mittlere Lebensdauer
eruirt werden soll . . . Die bisherigen statistischen Ergebnisse
sind kein Wissen vom Menschen*., sie
sind nur: Eigenschaften von Gresammtheiten . ♦ 4 Die ihrer
Existenz nach altbekannte Eigenschaft des Individuums und
die erst durch solche Untersuchungen, wie die der Mortali-
täts- etc. Statistik, aufgedeckte Eigenschaft einer Gesammt-
heit sind beide etwas himmelweit Verschiedenes und müssen
durchaus unterschieden werden. Z. B. Ohne die Eigenschaft
des Menschen, 'sterblich zu sein', würde eine Bevölkerung
nicht die Eigenschaft haben, die wir bei ihr
die 'Mortalität' nennen. Trotzdem aber, dass jene die conditio
sine qua non dieser ist, ist jene doch etwas durchaus
Anderes als diese. In Folge seiner Eigenschaft, sterblich
zu sein, scheidet der Mensch nach einer kürzern oder
längern Spanne Zeit wieder aus dem Leben. Um desswillen
dagegen, was bei ihr die Sterblichkeit heisst, braucht eine
Bevölkerung niemals aufzuhören zu sein; sie kann in alle
Ewigkeit hin nicht nur weiter bestehen, sondern sogar fort
und fort wachsen und zunehmen . . . Die Manipulationen
des Probabilitäten - Calcüls produciren nicht aus dem
'Wissen nur von einer Gesammtheitf, das die statistische
Recherche ergiebt, ein 'Wissen vom Individuum1.
Sie statuiren vielmehr auf Grund jenes 'Wissens von einer
Gesammtheit1 (Warum nicht lieber „von einem Bruchtheil
der Menschheit?" — Ret) Fictionen (vgl Lotze, „Logik",
Leipzig 1874, p. 398 ft), zu denen wir Menschen — als zu
einem Nothbehelf, eben weil wir ein Wissen über die
betr. Dinge nun einmal nicht haben, — greifen, um ein
eben um unseres Nicht-Wissens willen nothwendiges Handeln
(z. B. bei Lebens-, Sterbe- und anderen Versicherungen)
so, wie es eben bei diesem unseren Nicht-Wissen billig
und recht, zu gestalten. Allein das hat man eben unbeachtet
gelassen." —
Wie nun selbst die erlauchten Meister der Mathematik,
ein S. D. Poisson in seinen „Recherches sur la probabilit§
des jugemens en matiöre criminelle et en materiöre civile,
precedees des rßgles gönörales du calcul des probabilites."
(Paris 1837), ein Quetelet in „Sur Thomme", „Pbysique
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1884/0305