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Strigel: Die menschliche Geistfrage, oder der Geist etc. 379
Anfang und Ende verdeckte für uns eine, nicht allezeit
gleich enge, sinnliche Grenze, — der Schleier des Bildes
zu Sais, — denn Niemand wird leben im Leibe, der
dessen Schleier gelüftet hat. Der Schiffer des Lethe führt
nur die Wanderer hinüber.
Weil alle Materie nur aus Kräften entstand und alle
Kräfte, als Willenskräfte, aus einem Geistigen emaniren,
darum offenbart uns selbst die Stoffwelt ihr Geistiges in
ihrem Wirken; d. h. sie modifizirt die uns umgebende AU-
fluth der Kraft zu bestimmten und mannigfachen Vibrationen
.
Aus dem somnambulen Traum-Leben scheint
sich zu ergeben, dass der Geist des Menschen nicht immer*)
in seinem "Wirken und Empfinden an die körperlichen
Organe gebunden ist und manches in ihm unbewusst vorgeht
.**)
Man verwahrt sich aber ausdrücklich gegen Schaustellungen
in diesem Gebiete, oder zum Gebrauche von
andern, als wissenschaftlich würdigen Zwecken. Zur Befriedigung
der Neugierde und zur Unterhaltung eines einsichtsvollen
Publikums von Damen und Herren passen sie
nicht, auch wenn sogenannte Geister wie Joey, John King,
Asoka, Lilly etc. ihr seltsames und lärmendes Wesen treiben,
wo, — wenn die Manifestationen acht sind, die Quelle der
wirkenden Kraft erst sicher festzustellen wäre, was selbst
*) Wir können diese Ansicht mit bestem Willen nicht gut theilen.
Auch die wundersamsten Verrichtungen Somnambuler und Ekstatischer
geschehen doch immer nur bei noch lebendem, wenn auch partiell
paralysirtem Gehirn und Nervensysteme. Vgl. „Psych. Stud." Mai-Heft
1883, S. 222 ff. — Sinnlich wahrnehmbare Wirkungen erscheinen sonach
stets an das Nervensystem gebunden. Selbst im Sterbenden und Gestorbenen
vermögen vielleicht noch innerste Theile des Gehirns zu
vibriren und so Veranlassung zu Wirkungen des sog. Vampyrismus
zu werden. Vgl. Juni-Heft 1883 S. 290 ff. - Der Sekr. d. Eed.
**) Diese letztere Wendung verräth uns wohl die eigentliche
latente Meinung des Herrn Verfassers, welche die unbewussten
Vorgänge des Seelenlebens gewiss anderen Nervenpartieen (denen des
Ganglien-Systems), die bewussten Sinnenprocesse aber den sensuellen
Gehirnnerven mit uns zuschreibt. Nun sind aber beide Nervensysteme
mit einander so innigst verbunden und verflochten, dass beide
ihre Reflexe in einander werfen, wenn auch die sensorischen Leitungen
die motorischen, oder umgekehrt, eine Zeit lang überwiegen oder
paralysiren sollten. Wie weit dies gehen kann, beweisen uns die
indischen Fakirs, welche sich über einen Monat lang lebendig vergraben
lassen und dennoch in ihrem Nervensystem nicht völlig erstorben
sind, sondern wieder zum Leben erweckt werden können.
Scheinbares Nichtfunctioniren gewisser Nerven beweist demnach noch
keineswegs die völlige Loslösung der Psyche von denselben. Deshalb
sind exacte Forschungen über Tod und Scheintod von allerhöchster
Wichtigkeit. — Der Sekr. d. Red.
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