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Extravaganzen im Spiritismus. 391
Gatten von selbst treu bleiben, und will sie erst von seinem
letzten Wunsche benachrichtigen, falls sie doch einmal eine
zweite Ehe einzugehen gesonnen werden sollte. Inzwischen
schliessen sie selbst innige Freundschaft, die sich allmählich
zu gegenseitiger Liebe steigert. Er flieht sie. Da verlobt
sie sich zum Schein. Er kehrt zu ihr zurück, um ihr das
letzte Vermächtniss ihres Gatten mitzutheilen. Dadurch
werden ihre beiderseitigen Gefühle offenbar, und er verlobt
sich mit ihr. „Glänzend wird die Trauung gefeiert, doch
erschrickt die Neuvermählte, als ihr Gatte nach dem Festmahl
von ihrer Seite verschwunden .... Er ist hinausgeeilt
zu dem Kreuze, vor dem er und Robert sich zur
Knabenzeit Treue gelobt für Zeit und Ewigkeit. Die Vergangenheit
tritt ihm lebhaft vor die Seele. Glück oder
Ehre? In der Kapuze seines Militärmantels befindet sich
ein kleiner Revolver. Ein Schuss erschreckt die Gäste im
Schlosse. Am Kreuz am Wege findet man die Leiche des
Grafen von Fremeuse. — Die Feinheit in der Schilderung
dieser Vorgänge, der Zauber des Styls ist geradezu fas-
cinirend." — Wir geben das zu, halten aber dergleichen
romanhafte Geschichten doch für total krankhaft und schwache
Gemüther verwirrend und zu ähnlichen Extravaganzen anreizend
. Sollte es wirklich für Frankreich keine feinere
psychologische Kost geben als solche unnatürlich überschraubte
Gefühlsempfindungen? Wurzeln sie nicht in einer
falschen Metaphysik und in einem falschen Begriff von den
Rechten der Lebenden und der Todten?
Eine ähnliche gefühlsverschrobene Geschichte lasen wir
jüngst in „Auf der Höhe" April-Heft 1884 unter dem Titel:
„Es liegt in der Luft!" womit wir gegen die Redaction
keine Kritik üben wollen. Hier bringen sich zwei Eheleute
um zur Illustration der daselbst ebenfalls nur in der Luft
liegenden, aber nicht ausgesprochenen .Frage des Go^fta'schen
Faust: „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?"
Der kategorische Imperativ Kaufs antwortet darauf: „Nein!"
Mögen diese Erzählungen lediglich gute Musterbeispiele dafür
sein, wie man nicht empfinden und denken soll, um nicht
in Selbstmord zu enden. Ist es nicht ein trostloser Wahn,
auch den eigenen Körper und die uns noch umgebenden
irdischen Verhältnisse an die Willensbestimmungen eines
hinübergeschiedenen Geistes so stark gekettet zu glauben,
dass die Eolge davon in Selbstvernichtung ausarten muss?
Welcher geheimen Schule der Verrücktheit entspringt wohl
solcher Wahnwitz! solche Aufhebung der freien Selbstbestimmung
durch einen seine Wirkungen nicht vorausberechnenden
Wunsch eines Sterbenden?
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