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402 Psychische Studien. XI. Jahrg. 9. Heft. (September 1884.)
häufen, die nur noch an das Wort des P arteiführers glauben
der ihre ungeläuterten Neigungen und Leidenschaften aufzureizen
, ihren unklaren Vorstellungen und Vorurtheilen zu
schmeicheln weiss. Täglich kann man wahrnehmen, dass
sie in immer traurigere Veirrrungen gestürzt, immer heftiger
belogen und betrogen werden. Aber die besten, glänzendsten,
unwiderleglichsten Enthüllungen vermögen dieses Verderben
nicht aufzuhalten. In diesem Augenblicke ist die Lüge mit
aller Aufbietung von Wissen, Scharfsinn und Beweiskraft
als solche gekennzeichnet, moralisch todtgeschlagen, als
ruchlos aufgewiesen, und im nächsten Augenblicke steht sie
aufrechten Hauptes mit frecher Stirne da, als ob gar nichts
vorgekommen wäre. Die Gegenvorstellungen werden von
den fortwährend in starker Gluth erhaltenen Anhängerschaften
nicht gehört, die Gegenschriften nicht gelesen,
höchstens nehmen sie von der Beleuchtung Notiz, welche
ihre Führer solchen Angriffen zu Theil werden lassen. Und
kann dies Alles schon in ausgiebigster Weise auf ganz
concreten Lebensgebieten sich geltend machen, wo es Jedem
so erleichtert ist, bei gutem Willen die Wahrheit zu finden,
um wie viel mehr in jenen i\ngreifbaren und übersinnlichen
Regionen des sogenannten Spiritismus, dem die Mehrzahl
seiner Freunde durch Gemüthsbedürfnisse und Herzensregungen
zugeführt wird, die an sich harmlos, unschuldig,
keineswegs unrein und verdammungswürdig sind. Gross
ist bereits die Zahl der werthvoilen Bücher und Abhandlungen
gelehrter und populärer Art, die gegen diese moderne
Krankheit geschrieben wurden. Gelesen aber wurden sie
meist nur von denen, die ohnedies gegen eine Ansteckung
solcher Art gesichert waren. An dem Bestehen und Umsichgreifen
der abgeschmackten Schwarmgeisterei ist zunächst
dadurch nichts geändert worden." —
Mit Vergnügen constatiren wir diese endlich gewonnene
Einsicht des Herrn Referenten, welche uns verräth, dass er
den modernen Spiritualismus oder Spiritismus als eine gewaltige
Macht erkennen gelernt hat, deren tieferes und
ernstes Studium gewiss nützlich und wissenschaftlich erscheint
. Auch die Herren Theologen bei uns verschliessen
sich dieser Einsicht nicht mehr. (Vergl. „Psych. Stud."
Februar-Heft 1884 S. 96.) Was aber haben uns bisher die
Herren der Wissenschaft und von der Feder entgegengerufen,
wenn wir sie in Voraussicht der kommenden Dinge zum persönlichen
Studium der seltsamen Phänomene des Seelenlebens
vor nun 11 Jahren aufforderten ? Es ist alles purer Schwindel
und Betrug! Damit glaubten und glauben sie die Sache
bis heute noch abgethan. Oder verfährt etwa unser Herr
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