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434 Psychische Studien. XI. Jahrg. 9. Heft (September 1884.)
— „dass die Naturwissenschaft nicht derartige Offenbarungen
zum Ausgangspunkte ihrer Untersuchungen und
Bestrebungen machen kann und darf, wofern sie nicht auf
den Namen einer Wissenschaft verzichten will; denn wir
wissen eben nicht, wie weit wir dem Inhalte solcher Offenbarungen
Realität beilegen sollen, da es uns an jeglichem
Kriterium hieran fehlt. Die Naturwissenschaft beschäftigt sich
aber nur mit dem Wissen von Realitäten, d.h. von sinnlichen
Wahrnehmungen, welche nicht nur historisch, sondern auch
direct vermittelt werden können." — S. XL: „Mit andern
Worten, die Naturwissenschaft kann niemals den Inhalt einer
wirklichen Offenbarung widerlegen, es sei denn, dass sie ihre
eigene Unfehlbarkeit, wie der Papst, zum Dogma erhebt
und die relativen Grenzen ihrer Erkenntniss für absolute
Grenzen hält. Dass dies eine grobe Selbsttäuschung sei, hat
bereits Newton in der Einleitung zu seinen Principien hervorgehoben
, indem er bemerkt, dass wir nicht einmal die
allgemeinste physikalische Eigenschaft eines Körpers bezüglich
seiner Ruhe und Bewegung absolut beantworten
können."—
Seite XLIII: — „Es kann nach dieser Darlegung
niemals als Aufgabe und bewusster Zweck der Wissenschaft
betrachtet werden, göttliche* Offenbarungen zu bestätigen
; wohl aber kann es sich ereignen, dass unabsichtlich
im Laufe der durch die Wissenschaften fortschreitenden
Erkenntniss der Mensch zur Anerkennung von
Offenbarungen geführt wird, deren Inhalt bisher für seinen
Intellekt widerspruchsvoll und unannehmbar war, wie hoch
auch immer der moralische Gehalt jener Offenbarungen
zu allen Zeiten anerkannt worden sein mag. — Von diesem
hier dargelegten Standpunkte unterscheidet sich nun
wesentlich derjenige der Mystiker und Scholastiker.
Diese betrachteten als höchste Aufgabe der Wissenschaft,
die Wahrheit der christlichen Offenbarung zu beweisen.
Sie legten daher dem Inhalte jener historisch vermittelten
Offenbarungen für die Wissenschaft denselben, ja einen
höheren Werth bei, als beobachteten Thatsachen, und verloren
sich hierbei zum Schaden der Wissenschaft in Träumereien
und leeren Wortstreitigkeiten. Die moderne katholische
Kirche hat durch Proldamirung des Unfehlbarkeitsdogma
^ diesen Standpunkt kanonisirt, und die neueste
Encyclica des Papstes versucht die Philosophie der Autorität
des Scholas tikers Thomas vonAquino unterzuordnen."
Seite L: — „Was nun die Aufforderung des Papstes
an die Universität betrifft, auch in der Naturwissenschaft
wieder zu den alten Scholastikern zurückzukehren, so erlaube
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