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536 Psychische Studien. XI. Jahrg. 11. Heft. (November 1884)
überzeugt hat, dass wir Leute des Westens der Mehrzahl
unserer Thatsaehen eine falsche Auslegung gegeben haben.
Der Gegenstand ist noch nicht ein halbes Jahrhundert alt
bei uns, und es braucht Niemanden zu überraschen, dass
wir in dieser kurzen Periode noch nicht zu demselben vollen
Verständniss des Menschen, seiner Fähigkeiten und seiner
Verwandtschaften mit der äusseren und inneren Natur
gelangt sind, welches von den „Erben der Weisheit der
Chaldäer und des Indischen Mutterlandes*' erheischt wird.
Es ist ein Hauptzweck der Theosophischen Gesellschaft,
den Denkern des Westens so viel als möglich von dieser
archaischen Weisheit übermitteln zu helfen. Unsere Pflicht
ist gethan, wenn dieses geschehen ist: es wird dann an
Ihnen sein, diese Meinungen durch experimentelle Untersuchungen
zu prüfen, nichts voreilig zu verwerfen, nichts
leichtgläubig anzunehmen, sondern die Wahrheit regelrecht
zu suchen und an ihr festzuhalten, wenn sie gefunden ist.
„Persönlich erwiedere ich mit Wärme alle Wünsche,
welche Sie für ein gutes Einvernehmen zwischen sämmtlichen
Gesellschaften der ganzen Welt und allen individuellen
Forschern jedweder Nation, welche mit irgend einem Zweige
des psychologischen Studiums beschäftigt sind, ausgedrückt
haben. Und meine ganze Natur empört sich gegen die
leider zu oft angewendeten bitteren Persönlichkeiten an
Stelle von Beweisgründen von Seiten Disputirender über
philosophische Meinungen, von denen wir glauben, dass sie
Thatsaehen beleuchten, über die wir im Wesentlichen eins
sind. Obgleich wir auf der gegenwärtigen Stufe des Gegenstandes
über die hinter unseren Phänomenen steckenden
Ursachen nicht einstimmig sein mögen, so sollten wir doch
unser Bestes thun, zu einem Verständniss derselben zu gelangen
und so widerspruchsvolle und unedle Methoden zu
entmuthigen.
„Seit ich zuerst den Spiritualismus kennen lernte, hat
er gar viele Wechselfälle durchgemacht und sein Ansehen
gar oft verändert. Ich halte dafür, dass er sich gegenwärtig
rasch auf einer viel höheren Ebene entwickelt. Bis jüngst
hatten die Phänomenalisten eine fast unbestrittene Herrschaft
. Wir sehen jetzt eine Klasse höherer Geister erstehen
, welche unzweifelhaft die Phänomene dahin bringen
werden, wohin sie gehören, nämlich unter die Subordination
der Philosophie. Eine wahre experimentelle Psychologie
ist stets gewesen und bleibt der Welt grösstes Bedürfniss.
Wenn wir die Ursache und Absicht des Daseins und die
Folgen der Kraftwirkungen, die wir täglich, stündlich, ja
augenblicklich erzeugen, nicht kennen, welche sichere Ver-
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