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542 Psychische Studien. XL Jahrg. 11. Heft (November 1884.)
des Mädchens zuerst bemerkt worden war. Die Passagiere
beobachteten während der Fahrt beide Seiten des Bahndammes
, doch Hess sich keine Spur von dem Mädchen entdecken
. Auf der nächsten Station — die Sache spielte sich
auf der Bahn Libau-Romny ab — Marysia Gorka, sandte
der Stationschef sogleich einen Extrazug nach dem Orte,
wo die Abwesenheit des Mädchens bemerkt worden war,
ab; dem Zuge waren 30 Arbeiter mit Fackeln beigegeben
worden. Als der Zug an Ort und Stelle hielt, stiegen die
Arbeiter aus und suchten unter Anführung der Frau A.
das Terrain zu beiden Seiten des Dammes ab. Man legte
auf diese Weise 15 Werst und dieselbe Strecke auf dem
Kückwege, fortwährend suchend, zurück. Die Verzweiflung
der armen Mutter war natürlich gross. Am anderen Morgen
trat Frau A. bei Tagesanbruch in den Wartesaal der Station;
hier sah sie zu ihrem freudigen Erstaunen ihr Töchterlein
an einem Tisch vor einem Glase Thee sitzend. Das Mädchen
war in einem Anfall von Somnambulismus von der
Plattform des Zuges herabgesprungen: ihr träumte, sie
springe mit ihren Freundinnen (was auf dem Gute öfter
geschehen war) von einem Heuhaufen herab; der Sprung
vom Zug aus hatte ihr nicht geschadet, da sie in ein Plaid
eingewickelt war und auf weichen Boden fiel; ausserdem
hatte sie sich ein Kopfkissen mitgenommen, so dass sie,
auf dem Erdboden angelangt, ohne durch die Feuchtigkeit
desselben belästigt zu werden, weiter geschlafen hatte. Als
sie erwacht, glaubte sie, der Zug sei entgleist, und sie sei
während des Entgleisens herausgefallen; sie ging auf ein
Licht los, das sie in der Nähe sah, und gerieth in eine
Bauernhütte. Von dort aus wurde sie zu Wagen nach der
genannten Station gebracht, wo die glückliche Mutter sie
wiederfand. (Leipz. Tagebl. v. 25. Okt. er.)
b) Mr. Stuart Cumberland führte heute Mittag vor einer
geladenen kleinen, aber gewählten Gesellschaft das Kunststück
aus, eine Nadel, die Jemand ohne Vorwissen des
Gedankenlesers an einem weiter entfernten Punkte versteckt
hatte, aufzufinden. Das Rendezvous der Geladenen, unter
denen u. A. der Cultusminister v. Gossler mit seiner Gattin,
der chinesische Gesandte mit Frau und Sohn, der griechische
Gesandte, Prinz Fürstenberg, Prinz Lichnowsky u. s. w.
sich befanden, war der Kaiserhof. Hier, in dem kleinen
Saale, der die Reihe der Festräume von der Wilhelmstrasse
aus eröffnet, stellte Cumberland zunächst einige Vorversuche
an, um ein geeignetes „Subject" zu ermitteln. Als ein
solches erwies sich bald Prinz Fürstenberg. Derselbe ging
nunmehr mit Prinz Lichnowsky und Professor Leo hinaus,
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