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588 Psychische Studien. XI. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1884.)
musste. Sollte diese innere Vibration und Vorahnung meines
Gemüthes nicht weit mehr mit dem Herabfallen des Bildes
kausal zu thun gehabt haben, als alle anderen mechanischen
und geisterwirkenden Annahmen? Stehen wir nicht mit
allen Dingen in einem gewissen unbewussten seelischen Zusammenhange
, dass wir auf ihre Kraft-Principien zuweilen
unmittelbar statuvolisch oder mediumistisch einzuwirken
vermögen ?
g) Von Anicius Manilius Boethius am Ausgang
des 5. Jahrhunderts nach Christus berichte! uns Dr. Moritz
Brasch in seinem Werke: — „Die Olassiker der Philosophie
" (Leipzig, Gressner u. Schramm, 1884) 1. Band, dass
derselbe (als Kirchenlehrer ? und bedeutender Dogmatiker?
doch noch) Platoniker gewesen sei. Kaiser Theodorich
der Ostgothen habe diesen Minister, den er einst sehr hochschätzte
, als vermeintlichen Vaterlandsverräther ungerecht
hinrichten lassen. Seine hinterlassene berühmteste Schrift
ist „Trost der Philosophie", in welcher B. berichtet, wie
ihm einst die Philosophie in der Gestalt einer hohen ehrfurchtgebietenden
Frau im Kerker erschienen sei und ihm
Trost in seinen Leiden zusprach. Der Recensent des „Leipz.
Tagebl." No. 292 vom 18. October 1884 S. 5530 3. Spalt-
columne sagt: — „Diese Scene hat der Verfasser dem
Werke des Boethius entlehnt und als stimmungsvollen
Ausklang benutzt. Es hat etwas gewissermaassen Rührendes
und zugleich dramatisch Ergreifendes, die Philosophie
selbst als Person am Schlüsse redend einzuführen und zwar
in Gestalt der Trösterin im Leide." — Was dem Herrn
Recensenten hier rührend und dramatisch ergreifend dünkt,
würde ihn mit Anderen sofort abgestossen haben, wenn er
auch nur im Entferntesten geargwöhnt hätte, es hier mit
einer statuvolischen Erscheinung eines Mediums des Alterthums
zu thun zu haben, und nicht etwa mit einer bloss
poetischen oder abstracten Gedanken-Mction. Aber weshalb
sollte letztere nicht im medicinischen Gewände mit
sinnlicher oder visionär - lebendiger Deutlichkeit auftreten
und deshalb weniger der Berücksichtigung werth sein dürfen
? Und existirt denn überhaupt die Philosophie noch
neben oder ausserhalb einer wirklich philosophirenden Person
in lebendiger Menschengestalt? In solcher Begriffsverwirrung
befinden sich nämlich unsere philosophischen Kritiker noch
heute über das Wesen der Philosophie. Erscheint der
Christenheit der von Christus verheissene Tröster nicht
heute noch in der dritten Person der Gottheit und im
Symbol einer schwebenden Taube ? Es muss doch wohl ein
Grundprincip unseres seelischen Fühlens, Anschauens und
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