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Geßsmannt Neues vom Gedankenlesen.
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Das Gedankenlesen nun, wie es hier in Wien das erste
Mal von Cumberlanä vorgeführt und seither vielfach von
gänzlich ungeübten Dilettanten nachgemacht wird, bietet
so viel Analogien zu den Suggestionen, dass es schwer fällt,
die Ansicht, dass das Gedankenlesen in diese Kategorie
hypnotischer Erscheinungen gehört, abzuweisen. Betrachtet
man die Bedingungen, welche zum Gelingen des Gedankenlesens
nöthig sind, so erregt in erster Linie die Konzen-
trirung der Gedanken und des Willens — der den Gedankenleser
führenden Person — auf das zu Errathende
unsere Aufmerksamkeit. Ist das betreffende Individuum
zerstreut oder von schwacher Willenskraft, so dass dessen
Aufmerksamkeit leicht durch Geräusch oder sonstige äussere
Störungen abgelenkt wird, so gelingt der Versuch niemals.
Die führenden Personen haben bei diesen Versuchen —
auch wenn sie fest davon überzeugt sind, dass es der Fall,
— ihre Gedanken nicht auf das zu suchende Object allein,
sondern mehr auf das von ihnen geführte Subject konzentrirt,
das heisst, es beherrscht sie grösstenteils der Gedanke:
„Wird er es finden?" oder: „Wird er es errathen?" und
unbewusst sogar der energische Wille: „dass er es finde
oder errathe!"
Der Gedankenleser ist also in unserem Falle als ein
unter dem unbewussten hypnotischen Einflüsse des denselben
Führenden stehendes Medium zu betrachten. Cumberlanä
lässt sich die Augen verbinden, wenn er eine Probe seiner
„Gedankenlesekunst" geben will; angeblich um die Möglichkeit
eines Zeichenaustausches mit einer im Publikum befindlichen
und mit ihm einverstandenen Person auszuschliessen;
in Wahrheit aber nur deshalb, weil er ganz gut weiss, dass
das Bedecken der Augen, oder ein leichtes Verhüllen des
Kopfes die hypnotische Einwirkung begünstigt, indem er
hierdurch in die Lage versetzt wird, sich dem Einflüsse
ungestörter hingeben zu können, da die schädliche Einwirkung
äusserer Störungen hierdurch abgeschwächt wird.
Dass Cumberlanä die Hand des ihn Führenden an die Stirne
legt, denselben im Saale herumzieht, scheinbar in hochgradig
nervöser Aufregung sich befindet , zielt nur darauf hin,
Effekt zu machen, und ist eine klug ersonnene Ausschmückung
des Versuchs, um denselben bühnengerechter zu machen
und das Anditorium mehr für seine ohnehin einnehmende
Persönlichkeit zu interessiren. Es giebt ja bekanntlich kein
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stände oder sich selbst betrachten und wie sie danach ihre Handlangen
einrichten sollten, die ihrem normalen Bewnsstseinszustande
durchaus nicht mehr entsprachen. Die Red.
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