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84 Psychische Stadien. XIII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1886.)
besseres Mittel, Publikum anzuziehen, als die Wundersucht
desselben zu erregen, sich, was bei derlei Experimenten
leicht thunlich, wunderbare und geheimnisvolle Kräfte zuzuschreiben
und überhaupt so sehr als möglich in mystisches
Dunkel zu hüllen. Cumberlantfs Fähigkeit ist also durchaus
nichts Ausserordentliches und Mysteriöses, da sein sogenanntes
Gedankenlesen von dem ersten besten willensstarken
Menschen durch Einwirkung auf ein passives Subject nachgemacht
werden kann. Wie sehr ein Mensch andere zu
beeinflussen im Stande ist, dafür kann man taglich genügende
Beweise finden, darauf beruht beispielsweise die alles hin-
reissende und bezaubernde Macht grosser Redner, Sänger etc.
Doch zurück zu unserem Thema. Es wurde gesagt, dass
die meisten Personen im Stande sind, den besprochenen
Versuch auszuführen, wobei ee gar nicht erst nothig ist,
dem Medium die Augen zu vei binden, die Hand an die
Stirne zu legen und dergleichen. Der Beeinflussende braucht
sich hiebei nur einen bis zwei Schritte hinter dem Gedankenleser
aufzustellen, die Hände in der Entfernung von einigen
Centimetern über den Schultern desselben zu halten, seine
Blicke — am besten — in die Jsackengegend des Suchenden
zu heften and dabei den festen Willen zu haben, dass dieser
die bestimmte Handlung vollführen soll. Das Medium
braucht nur widerstandslos dem Einflüsse sich hinzugeben
und das zu thun, wozu es den Drang in sich fühlt Es
ist eine ganz cigenthümliche Empfindung, die das Betreffende
zum Beispiele beim Aufsuchen eines Gegenstandes hat, und
welche dasselbe nach einem bestimmten Orte hinzieht und,
wenn es sich auch entfernen will, immer dieser Stelle wieder
zudrängt. Bei ersten derartigen Versuchen, bis JFührer
und Medium zusammengewöhnt sind, geht das letztere meist
furchtsam und zögernd vor, diese Befangenheit schwindet
aber bei öfterer Wiederholung des Experimentes. Dann ist
es auch gar nicht mehr nöthig, dass der Beeinflussende
hinter dem Suchenden nachgehe, sondern er kann ganz
ruhig an seiner Stelle bleiben und braucht, bei beständiger
Eixirung seines Willens auf das Medium, dasselbe nur mit
seinen Blicken zu begleiten. Von einem Gedankenlesen in
dem Sinne, dass tatsächlich die Gedanken einer Person
von einer andern gelesen werden, d. h. auf Letztere direkt
übergehen, kann, wie aus dem Gesagten hervorgeht, keine
Rede sein, da der Gedankenleser nie zur deutlichen Auffassung
des Gedankens, den er lesen soll, gelangt, sondern
immer nur unbewussten, instinktiven Impulsen folgt. Die
Bezeichnung „Gedankenlesen4' ist also eine irrige und nur
geeignet, den Begriff dieser in ihrem Zustandekommen
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