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Wittig: Das Problem des Darwinismus etc.
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in den Organismen bewirken. Eine „Amöbe" z. B. strecke
Scheinfüsse aus, wo sie ein Fressen spürt, und ziehe sie
eilig zurück, d. h. lässt sie in der allgemeinen Stoffmasse ihres
Leibes wieder aufgehen, wo sie auf ein Hinderniss stössi"
Tn Folge dessen sei die darwinistische „Entstehung der
Arten" aufzufassen als „Entstehung von zweckvoll zusammenstimmenden
oder doch charakteristischen Gliedmaassen an
Lebewesen, die sich mehr und minder gleichen, beziehentlich
Abänderung dieser Gliedmaassen an den folgenden
Generationen."
Und nun fragt er: „Wenn die Willensgedanken und
Willensanstrengungen im Thiere überhaupt wirken, zweifellos
wirken, wo es gilt, Glieder zu benutzen, warum sollen
diese Factoren ruhen und nur das Zusehen haben, wo es
gilt, Glieder zu bauen? Aber diese Frage ist ja schon
überholt und in unserm Sinne beantwortet durch das, was
wir von den ebengenannten Amöben und von allen jenen
Elements r-Organismen wissen, welche von den Darwinisten
treffend 'Organismen ohne Organe' genannt werden. Bei
diesen fällt zumeist der Gebrauch der Organe mit dem
Bauen der Organe in Eins: dieselbe Lebensthätigkeit, die
wir als eine Willensthätigkeit oder Zieltendenz auffassen
mussten, erzeugt hier Organe für den Moment ihres Gebrauchs
, und ihr Gebrauch ist dann selbst nichts Anderes
als ihre Erzeugung; einen Fuss ausstrecken ist hier ganz
dasselbe, wie einen Fuss aus Stoffmasse hervorbringen,
den Mund öffnen ganz dasselbe, wie einen Mund gestalten
. Auf diese unsere fernsten Ahnen müssen wir
zurückgehen, wenn wir als gute Darwinisten von irgend einem
Stücke des lebendigen Daseins nach der ersten Entstehung
suchen. Das heisst, in Bezug auf Entstehung der Organe:
wir sind als gute Darwinisten zu der Ansicht genöthigt, dass
die Organe ursprünglich durch Willensthätigkeit
in der Tendenz auf Erreichung bestimmter
Ziele des lebenden Wesens entstehen. Die fortgehende
Einwirkung des Willens auf die Stofftheile in den
gleichen Eichtungen, die Vererbung, die Fortsetzung und
Steigerung derselben Bemühungen durch Generationen hindurch
, in natürlicher Abhängigkeit von äusserer Umgebung,
namentlich von den vorhandenen Nahrungs- und Baustoffen,
fährt dann in den begünstigteren Individuen jenes primitiven
Reiches und in ihren Oomplexen feste Organe herbei.
Da im Anfange nur von Wasserthierchen die Rede sein
kann, so werden zunächst nur der Scheinmund und Scheinafter
— blosse ad hoc entstehende, momentane Oeffnungen
— gleichsam zu bleibenden Formen gerinnen und eiue feste
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