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H. Sommer: Das Kriterium der Wahrheit im Erkennen. 221
Das Kriterium der Wahrheit im Erkennen.
Nach Hugo Sommer referirt von Gr. C. Wittig.
IV.
(Fortsetzung von Seite 568 des Jahrg. 1885.)
„Da wir mit zu dem Ganzen der Welt gehören und
durch die Erfüllung unserer Lebensbestimmung den Zweck
des Weltprozesses fördern sollen, so können wir unsere
Lebensaufgabe nicht verstehen, ohne eine bestimmte Ansicht
über die Welt im Ganzen und das Ziel des Weltprozesses
in uns zu bilden. Diese Weltansicht wird sich
in den verschiedenen Wesen verschieden gestalten, je nach
dem Grade und der Art ihrer individuellen Entwickelung
und nach dem Standpunkte, auf welchem sie sich in den
verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung befinden. Da
jedenfalls die letzteren für alle verschieden sein werden,
so können die Weltbilder in der Auffassung der verschiedenen
Wesen sich nie vollständig decken, wohl aber
kann in allen der wesentliche Sinn der Wirklichkeit in
mehr oder weniger vollständiger, individuell gefärbter
Weise zum Ausdruck gelangen; sie können alle zu einander
und zum Ganzen in einem bestimmten gesetzlich geregelten
Zusammenhange stehen.
„Dass dieses letztere wirklich der Fall sei, lehren die
Aufschlüsse, welche wir oben aus der näheren Betrachtung
der in i«ns vorhandenen sittlichen Norm unseres Wollens
erhielten. Soll der ganze Weltprozess ein einheitlicher,
zweckbestimmter sein, so müssen die einzelnen dazu mitwirkenden
Paktoren, die lebendigen Wesen, deren Gesammt-
heit das Universum constituirt, sich unter einander verständigen
, auf einander wirken, sie müssen überhaupt die
Erfolge ihres Wollens und Handelns voraus berechnen
können. Dieses ist nur möglich, wenn alles Geschehene
überhaupt in einem ausnahmslosen gesetzlichen Zusammenhange
steht. Erwägen wir nun, dass die Naturanlage aller
das Weltall konstituirenden Wesen mit inbegriffen ist in
die Einheitlichkeit des teleologisch bestimmten Weltprozesses
, so ergiebt sich als weitere Consequenz, dass alle
Vorgänge in allen Wesen, also auch alle Er scheinungen
in ihnen unter einander in einem ganz bestimmten
gesetzlichen Zusammenhange stehen
müssen. Ist dieses aber der Fall, so leisten die Mittel
unseres Erkennens in der That alles, was wir billigerweise
von ihnen verlangen können; so reichen sie vollkommen
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