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222 Psychische Studien. XIII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1886.)
aus, um die Aufgabe des Erkennens zu ermöglichen, wenn
wir die letzteren in dem angegebenen Sinne richtig verstehen
. Sie reichen aus, uns eine Ansicht der Welt im
Ganzon zu verschaffen, welche unserem individuellen Standpunkte
, unserem individuellen Gesichtskreise und unserer
individuellen Lebensbestimmung entspricht; sie reichen aus,
die Erfolge unseres Wollens in beschränkt3m, aber doch
zureichendem Maasse zu bestimmen.
„Berücksichtigen wir alle diese Erwägungen, um uns
klar zu machen, was Wahrheit sei und bedeute ? worin
das Kriterium der Wahrheit bestehen könne?
,.Da der Zweck des Erkennens nicht auf ein blosses
Abbilden dessen gerichtet ist, was ausser uns geschieht, so
kann die Wahrheit unseier Vorstellungen der ausser uns
gesetzten Dinge und Ereignisse nicht darin bestehen, dass
jene diesen in allen Beziehungen congruent oder auch nur
im mathematischen Sinne ähnlich seien. 'Nichts ist einfacher
', — so sagt Loize: „Logik* Drei Bücher vom
Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen." (Leipzig,
IJirzel, 187-*) « . 185, — 'als die Ueberzeugung, dass jeder
erkennende G<ist Alles doch nur so zu Gesicht bekommen
kann, wie es für ihn aussieht, wenn er es sieht, aber nicht
so, wie es aussieht, wenn es Niemand sieht; wer eine Er-
kenntniss verlangt, welche auf mehr als ein lückenlos in
* ich zusammenhängendes Ganze von Vorstellungen über die
Sache wäre, welche vielmehr die Sache selbst erschöpfte,
clor verlangt keine Erkenntniss mehr, sondern etwas völlig
Unverbindliches. Man kann nicht einmal sagen, er wünsche
die Dinge nicht zu erkennen, sondern geradezu, sie selber
zu sein; er würde vielmehr auch so sein Ziel nicht er-
r ichen; könnte er es dahin bringen, das Metall etwa selbst
%\\ sein, dessen Erkenntniss durch Vorstellungen ihm nicht
genügt, nun, so würde er es zwar sein, aber um so weniger
sich, als nunmehriges Metall, erkennen; beseelte aber eine
höhere Macht ihn wieder, vährend er Metall bliebe, so
würde er auch als dies Metall sich gerade nur so erkennen,
wie er sich in seinen Vorstellungen vorkommen würde,
aber nicht so, wie er denn Metall wäre, wenn er sich nicht
vorstellte.' —
„Wahr sind unsere Vorstellungen vielmehr dann,
wenn sie das, was in uns vorgeht, seinem Inhalte und
seinen Consequenzen nach adäquat zum Ausdruck bringen;
wenn sie folgerecht das zusammenfassen, was zusammen gehört
, und es mit dem Ganzen unserer Weltansicht in con-
sequente XJebereinstimmung bringen. Wahrheit besteht
daher nicht in einer Congruenz unserer Vorstellungen von
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