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250 Psychische Studien. XIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1886.)
Aehnlichkeit mit der Gottheit sich erklärt. Nach Xenophon
(„Mepaor. Socrat." I. c. 4. § 17.) stellt er sich die Gottheit
als eine feine, gleichartige, ätherische Figur vor, die nicht
nur ihren Wirkungen, sondern auch der Substanz nach
allgegenwärtig ist und Alles durchdringt, ohne mit irgend
einem Wesen gemischt zu sein. — Die Seele nun ist unsterblich
, von göttlicher Natur und mit keinem andern
Wesen zu vergleichen; sie steht auch nach dem Tode, wo
sie ihre göttliche Natur freier entfaltet, noch in einem realen
Verhältniss zu den Lebenden. In allen Zuständen, wo —
ähnlich wie im Tode — der Körper die Seele wenig hemmt,
so z. ß. im Schlaf, zeigt dieselbe ihre göttliche Natur weit
einleuchtender, denn sie wirkt mit mehr Freiheit und sieht
dann auch manches Zukünftige voraus. {Xenoph. „Cyro-
päd.« VIII. cap. 7. § 3.)
Aehnlichen gelegentlichen Aeusserungenüber das Hellsehen
als ein Vermögen der Seele begegnen wir noch bei
einer ziemlichen Reihe von Philosophen des Alterthums.
So sag:; z. B. der Urahn der Aerzte, ffippokrates, (490 bis
307) in seinem Buche „De insomniis:" — „Nachdem die
Seele durch den Schlaf nicht geradezu von dem Körper,
aber doch von dem groben Dienst seiner verschiedenen
Theile sich losgebunden, zieht sie sich in sich selbst zurück,
gleichsam wie in einen Hafen, um sich vor Ungewitter zu
schützen. Sie sieht und erkennt dann Alles, was im Innern
vorgeht, und malt sich diesen Zustand gleichsam aus in verschiedenen
Figuren und Farben, und erklärt sich so den
Zustand des Körpers deutlich. — Alles, was im Körper
vorgeht, sieht die Seele im Traume." — Der Arzt ffippokrates
hat, wie man bemerkt, wesentlich den „Traum als Arzt"
im Auge.
Auch nach Poddonius sieht die Seele von seJbst wegen
ihrer Verwandtschaft mit den Göttern die Zukunft voraus.
Nach Cicero (106—43) kann die Seele im Zustande der
Begeisterung oder im Schlafe, wo sie ohne Bande des
Körpers in freier Thätigkeit ist, Dinge erkennen und einsehen
, welche ihr in gewöhnlichem Zustande verborgen
waren. Es heisst „De divinatione" I. cap. 57: — „Die Seele
der Menschen sieht nur dann die Zukunft voraus, wenn sie
so gelöst iöt, dass sie nur noch wenig oder gar nicht mit
dem Körper zusammenhängt. Wenn sie daher in jenen
Zustand gelangt, welcher der höchste Grad contemplativer
Vollkommenheit ist, so wird sie von allen geschaffenen
Dingen abgezogen, und ihr Sehen hängt nicht mehr von
den Aussendingen ab, sondern sie blickt unmittelbar auf
die Ideen, in deren Licht sie Alles erkennt."
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