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Kiesewetter: Die Theorie von der psych. Kraft eto. 251
In ganz ähnlichem Sinn äussert sich, der ca. 50—120
n. Chr. lebende Plutarch in seiner Abhandlung „De defectu
Oraculorum« über das Fernsehen: - „Wenn nach Hesioä's
Ansicht die körperlosen Seelen Dämonen sind, heilige Erdbewohner
und Wächter sterblicher Menschen, warum wollen
wir dann die noch im Körper befindlichen Seelen jener
Kraft berauben, durch welche die Dämonen zukünftige
Dinge vorher wissen und verkündigen? Denn dass die Seelen
erst nach ihrer Trennung vom Leibe eine neue Kraft und
Eigenschaft bekommen sollten, die sie vorher nicht gehabt
haben, ist nicht wahrscheinlich. Es lässt sich eher denken,
dass sie alle ihre Kräfte beständig, auch während ihrer
Vereinigung mit dem Leibe, wiewohl in einer geringem
Vollkommenheit besitzen. Einige derselben sind unmerkbar
und verborgen, oder ganz stumpf und schwach, einige auch
— wie man durch einen Nebel sieht oder sich im Wasser
bewegt — träge und unwirksam, und erfordern theils eine
sorgfältige Wartung und Wiederherstellung ihres früheren
Zustandes, theils eine Wegräumung und Reinigung alles
dessen, was ihnen im W ege steht. Denn so wie die Sonne
nicht erst dann, wenn sie aus den Wolken heraustritt,
glänzend wird, sondern es beständig ist und nur wegen der
Dünste uns finster und unscheinbar vorkommt: ebenso erhält
die Seele nicht erst dann, wenn sie aus dem Körper
wie aus einer Wolke entweicht, das Vermögen in die Zukunft
zu sehen, sondern sie besitzt es schon jetzt, wird aber
durch ihre Vereinigung mit dem Sterblichen geblendet. —
So schwach, so stumpf und unmerkbar nun auch dieses den
Seelen eingepflanzte Vermögen sein mag, so geschieht es
doch zuweilen, dass eine oder die andere Kraft gleichsam
aufblüht und von ihrem Vermögen im Traum oder bei den
Mysterien Gebrauch macht, entweder weil alsdann der
Körper gereinigt wird und die hierzu erforderliche Stimmung
erhält, oder weil die Kraft zu denken und zu überlegen
jetzt, da sie von allem Gegenwärtigen losgerissen und befreit
ist, sich mit der blos von der Phantasie, nicht aber von der
Vernunft (d. h. von der übersinnlichen Erkenntniss, nicht vom
logischen Denken) abhängenden Zukunft beschäftigen kann."
Galen (131 - ca. 20Ü) bedient sich bei der Erklärung
des divinatorischen Vermögens der Seele fast derselben
Ausdrücke wie Hippokrates] er sagt: — „Im Schlaf zieht sich
die Seele in das Innere ihres Körpers zurück, macht sich
von allen äussern Verrichtungen frei und zeigt alles an,
was den Körper betrifft; und was sie selbst angeht, das sieht
sie Alles gleichsam wie in der Gegenwart." — Galen bezeugt
auch, dass er einen Theü seiner ärztlichen Erfahrungen
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