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Kiesewetter: Die Theorie von der psych. Kraft etc. 301
Der Schüler des Albertus Magnus, Thomas von
Aquino (1224—1274), wendet des Avicenna Theorie von
der psychischen Kraft auf die schädigende Magie der Hexen
an und sagt „Contra gentes" Lib. III cap. 103: — „Wie
ich nach Avicenna annehme, so geht es bei der Bezauberung
folgendermaassen zu: durch die seelische Erregung wird
der Körper verändert, und diese bösartige Veränderung
spiegelt sich im Auge und wird so auf den Bezauberten
übertragen, wie ja auch das Auge einer Menstruirenden
einen Spiegel inficirt. Solche Hexen besitzen eine gewaltige
ansteckende Kraft der Seele und des Körpers, welche sie
leicht durch die Kraft der Imagination übertragen können;
diese Kraft kann so gross werden, dass die Hexen durch
ihre heftige Imagination ihre Opfer sogar tödten können»"
Der grosse Roger Baco (1214—1292) wendet sich mehr
der heilenden Seite der psychischen Kraft zu und
äussert sich („Opus majus" p. 242—255) ganz im Sinne
des Avicenna, dass eine heilige und reine Seele über alle
Elemente und Naturkräfte gebieten könne. — In seinem
berühmten Aufsatz ,,De secretis operibus artis et naturae et
de nullitate magiae" führt Baco die Wirksamkeit der Beschwörungen
, Segen etc. auf die Kraft der Seele zurück.
Er sagt loco cit. cap. 3: — „Nach den angeführten Stellen
des Avicenna gehorcht die Natur des Körpers den Gedanken
und heftigen Wünschen der Seele. Denn das erste Bewegende
ist der Gedanke, dann die natürliche Kraft in den Gliedern
und endlich der Wunsch der Bestätigung des Gedachten.
Diesem Wunsche gehorcht die natürliche Kraft im Guten
wie im Bösen.4' — Kommen nun alle diese Dinge zusammen
und ist der Wille des Menschen ein guter, so werden schon
die von ihm ausgesprochenen Worte heilkräftig wirken,
weil die Worte der Ausdruck des seelischen Verlangens
sind. — „Und in ähnlicher Weise können grosse natürliche
Wirkungen durch die Bildung und das Aussprechen von
Worten geschehen, wenn damit der feste Wille des
Operirenden verbunden ist, und deshalb sagt man nicht
ohne Grund, dass die lebendige Stimme eine grosse Kraft
besitzt/4
In dem „Tractatus de viribus Iniaginationis," qu. 4.
des Marsilius Ficinus (1433— 1499) heisst es, dass die
menschliche Seele durch die Kraft der Imagination nicht
allein den eigenen, sondern auch einen fremden Körper
durchaus verändern könne; sie könne denselben gesund
und krank machen; sie errege durch die Imagination
Bezauberung, Hagel, Schnee und Wind; sie ziehe die
Kräfte des G estirns vom Himmel herab und vermöge sogar
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