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326 Psychische Studien, XIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1886.)
Friedrieh d. Grosse und sein Verhalten zu seitsamen Erscheinungen.
Wir lesen in den Tagesblättern vom 20. Mai 1886: —
„Der durch den jüngsten Orkan zerstörte Marienthurm
in Crossen*) ist derselbe, von dem Friedrich Förster in
seiner Geschichte Friedrichs des Grossen eine interessante
Anekdote erzählt. Vor Beginn des eisten schlesischen
Krieges, am 14. December 1740, traf Friedrich IL in
Crossen ein. Als er auf dem Markte an dem in Parade
aufgestellten Regimente vorüberritt, geschah in der nahen
Stadtkirche ein Gekrach, als ob Donner und Blitz aus
heiterem Himmel eingeschlagen hätten. Die erschrockene
und neugierige Menge eilte dahin, und man fand, dass die
grosse Glocke von dem Thurme durch die zerschlagene
Decke der Kirche herab bis auf den Fussboden gefallen
war. ',Ein böses Zeichen für dem König 1° murmelte die
abergläubische Menge, und man erblickte nur kopfschüttelnde
Philister mit bedenklichen Gesichtern. Da trat Friedrich
herzu, den Schaden zu besichtigen, und als er die erschrockenen
und verstörten Mienen der Umstehenden bemerkte, rief er:
'.Ein gutes Zeichen für uns und unsere Waffen! Was da
hoch ist, soll erniedrigt werden, das Haus Oesterreich mrd
fallen!" Diese Auslegung fand allgemeinen Beifall; die
Menge glaubte daran, und die Soldaten rückten mit frohem
Muthe der österreichischen Grenze zu, welche am 16. Dezember
bei dem Dorfe Läschen unweit Schwiebus überschritten
wurde."
Das hier Mitgetheilte steht in durchaus engem Zusammenhang
mit dem bereits „Psych. StudApril-Heft 1885
S. 180 und 190 über Friedrichs Verhalten gegenüber dem
von sogenannten Volkspropheten und merkwürdigen Träumen
Berichteten. Aber speciell in Bezug auf Crossen giebt es
für den Philosophen von Sanssouci, welcher dort einen so
merkwürdigen Glockensturz erlebte und für sich so günstig
zu deuten verstand, historische Beziehungen, die sich dem
Geschichtskenner doch wohl nicht als blosser Zufall dar-
*) Die Stadt Crossen an der Oder ist ara 14. Mai 1886 Nachmittags
von einer furchtbaren Windhose heimgesucht worden. Mehrere
Häuser und viele Fabrikschornsteine sind eingestürzt, fast sämmtliche
Dacher abgedeckt und die Fensterscheiben beschädigt Der Kirchthurm
wurde vom Sturm umgeworfen und begrub ein benachbartes Uaus unter
seinen Tiümmern, unter denen man mehrere Menschen todt, andere
schwer verletzt hervorgezogen hat. Auf der Oder sind zwei Schiffe
versunken, und es haben dabei fünf Menschen das Leben eingebüsst.
Die Stadt sieht aus wie vom Feind beschossen, die hübschen Anlagen
pind nahezu vernichtet.
(„Illustr. Zeitung" Ho. 2238, 22, Mai 1886.)
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