http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1886/0381
Wittig: Das Kriterium der Wahrheit im Erkennen. 373
Ja noch mehr, wir finden hier mit Einem Schlage den
ganzen Inhalt unseres sittlichen und geistigen Berufes, jene
höhere Offenbarung unserer ewigen Bestimmung philosophisch
angedeutet und erschlossen, welche wir auf dem
alleinigen Wege der geistigen Oommunication vielleicht
als ein noch unverstandenes, weil noch nicht selbst
verdientes und geistig erarbeitetes Geschenk nur misskannt
oder missachtet haben würden.
Der Berliner Philosoph Eduard von Hartmann, der
tüchtigste Schüler und Nachfolger Schopenhauer''s, ist uns
inzwischen ebenfalls auf dieses Gebiet geistiger Thatsachen
nachgefolgt in seiner Schrift: — „Der Spiritismus."
(Leipzig u. Berlin, Wilhelm Friedrich, 1885) 1L8 S. gr. 8°
— und hat das Thatsächliche derselben anerkannt, ohne
dabei der Geister-Hypothese zu ihrer Erklärung zu verfallen,
weil sich ihm sämm Gliche mediumistische Erscheinungen von
den vorausgesetzten Geistern auf das Medium verschoben
haben. S. 117 sagt er ausdrücklich : — „Ob es Geister
giebt, oder nicht, haben wir hier nicht zu untersuchen;
jedenfalls sind sie, wenn es welche giebt, in jenes Jenseits
zurückverwiesen, aus welchem der Spiritismus sie ins Diesseits
herabgezogen zu haben glaubte." — Das ist negativ
und indirect gesprochen. Aber dahinter steckt doch eine
gewisse positive Anerkennung eines Geisterreichs in einem
Jenseits, in dessen Regionen unsere sinnlichen Wahrnehmungsvermögen
sicher nicht einzudringen im Stande sind.
"Wir können ein solches nur denkend mit unserer Vernunft
voraussetzen, ohne über das Wie seiner Existenz hienieden
auf unserer Organisations - Entwickelungsstufe bestimmt
schlüssig werden zu können. Hier heisst es, den saltum
mortalem des Todes zuerst überspringen, ehe wir vom Glauben
zum geistigen Schauen gelangen. Aber in alle frappirenden
und unerklärlichen Erscheinungen unseres Seelenlebens
leuchtet dieser Glaube hinein und spiegelt uns im Gewände der
sinnlichen Wirklichkeit die Symbole des Jenseits vor. Wenn
wir begriffen haben und es festhalten, dass es eben nur
Symbole sind eines ewigen Lebens, auf das sie im gewissen
Glauben und Hoffen unseres innersten Gemüthes hindeuten,
dann möge ein solcher Spiritismus auch der unsere sein,
indem er sich zu holder Poesie und Kunst und zur Liebe
der höchsten Schönheit und Vollkommenheit eines Lebens
in Gott verklärt. Aber man verwechsele das Zeichen und
das Bild nicht mit dem Wesen: — denn „Du sollst Dir
von Mir kein Bild noch Gleichniss machen"!
Leipzig, im August 1885. Gr. C. Wittig.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1886/0381