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Margaretha A. Kr.: Charakteristik einer Hellseherin, 391
fremde Personen anbetraf, sogleich wieder vergass, sie jetzt,
da es sich um mein Schicksal handelte, auch in ihrem
normalen Zustand das ßewusstsein des im Geiste Gesehenen
lebendig behielt und als beständiges Eigenthum in sieb
bewahrte. Ich konnte zu jeder Zeit mit ihr wieder darauf
zurückkommen, und immer waren ihre Antworten indirekt.
Fragte ich z. B. „Nun, was wird wieder gesagt?u — „So
gescheit wie sie, sind wir nicht", erwiederte sie ironisch:
„nein kein Vergleich!" Das bedeutete: Man schalt mich
dumm! Immerhin ein leicht verständlicher Orakelspruch. Ihre
Natur war so kerngesund, dass sie sogar bei solchen Gelegenheiten
einen gewissen Humor entfalten konnte. Mehr als einmal
musste sie über die abgelauschten Gespräche lachen, auch
mischte sie schalkhafte Bemerkungen hinein, und da sie
sich gewöhnlich zu Bett legte, als Freund und Feind aufgehört
hatten, sich mit mir zu beschäftigen, so schloss
sie einst vor Schlafengehen die Tageserlebnisse mit den
Worten: „Heute haben sie den Salat gemischt, auch Essig
und Oel darauf gegossen, morgen werden sie noch Pfeffer
und Salz hinzufügen und ihn kalt serviren".
Ging ich aus, so begleitete sie mich manchmal im Geiste,
Nicht in die Läden oder auf den Markt, — für jedes
Gleichgültige gebrach es ihr an jeder hellseherischen Fähigkeit,
— aber wenn ich mit Leuten zusammenkam, auf welche ich
einen Einüuss hatte, oder umgekehrt mit Solchen, welche
mir nützen oder schaden konnten.
Ich ertheilte Unterricht, und auf den Kreis meiner
Schüler und Schülerinnen beschränkte sich mein Verkehr.
Doch dies genügte, um mein Leben zu einem inhaltsvollen
zu gestalten. Einst kam ich von einer Stunde heim. Meine
Mutter empfing mich strahlend in heiliger Verklärung; ich
erfuhr aus ihrem Munde, dass ich noch ein höheres Glück
gewährte, als ich selbst zu ahnen vermochte. Sie hatte
jedes Wort mit angehört und Alles mitempfunden. Sie
sagte mir, ich sollte Gott danken, dass es mir gewährt
sei, auf eine so leichte und einfache Weise, ohne mir selbst
etwas zu vergeben, einen so herzerhebenden Einfluss auszuüben
.
Kam ich missmuthig von solchen Stunden nach Hause
zurück, so wusste sie mir Beruhigung zu verschaffen. Sie
zeigte mir, was ich mir falsch ausgelegt, und wie es anders
gemeint war. Ich hatte schon zu staunen aufgehört über
die Genauigkeit, mit welcher ihr Alles, Alles bekannt war.
Ebenso wusste sie mir im Voraus anzugeben, wie die
Leute zu meinem Kommen vorbereitet waren, welche Vor-
urtheile man ihnen eingepflanzt, sie wusste mir die Taktik
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