http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1886/0405
Oessmann: Das Gedankenlesen.
397
sei, um sämmtliche auftretenden Fälle von Gedankenübertragung
zu erklären, und stellte ich mir deshalb die weitere
Aufgabe, Beweise für eine direkte Gedankenübertragung
zu gewinnen.
Hierbei fiel mir besonders eine bedeutende Verschiedenheit
zwischen dem gewöhnlichen Gedankenlesen — als welches
das auf Muskelbewegung beruhende in diesen Zeilen
fortan bezeichnet werden soll — und der Suggestion mentale
auf, und zwar: dass ersteres meist dem Gedankenleser
bewusst geschieht, während letztere dem Medium absolut
unbewusst bleibt.
Ich unterscheide hier absichtlich zwischen bewusstem
und unbewusstem Gedankenleser, und will in Hinkunft
ersteren kurz „Gedankenleser", letzteren hingegen
Medium nennen, da ja der Ausdruck „Gedankenlesen
" — wie bereits Eingangs bemerkt — dem Wortlaute
nach eine bewusste aktive Handlung bezeichnet, während
„Medianimitätu meist im Sinne einer unbewussten,
passiven — vom Willen des Mediums mehr oder weniger
unabhängigen — Eigenschaft gebraucht zu werden pflegt.
Meinen Erfahrungen zufolge möchte ich es als zweckmässig
erachten, noch eine dritte Art der Gedankenübertragung
zu unterscheiden, und zwar eine Art, welche
zwischen den beiden vorerwähnten einzureihen wäre.
Es giebt nämlich eine besondere Gattung hypnotischer
Suggestionen, welche von schwach hypnotisirten Personen
leicht hervorzurufen ist, und wobei das Medium einem
sozusagen „instinktiven Triebe" bewusst sich hingiebt.
Diese Art von Beeinflussung der Handlungen des
Mediums durch den unausgesprochenen Willen des Hypnotiseurs
schliesst entschieden auch eine besondere Form von
Gedankenübertragung in sich.
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen über das Gedankenlesen
will ich zur Beschreibung der einzelnen von
mir zum Nachweise einer „Suggestion mentale" angestellten
Versuche übergehen,
(Fortsetzung folgt.)
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1886/0405