http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1886/0425
Strigel; üeber Dr. Wilhelm Schneidens Buch etc. 417
viel zu erwarten scheint. Wenn sie jedoch auser Stande
sind, die Phänomene zu erklären, so müssten sie sich eben
hei der Theologie und der Philosophie Ruth holen u. s. w.
(Bei jedem Theologen? Massen sind überall — Massen.) M
Hier wäre zu entgegnen, dass die Theologie überhaupt
nur in soweit wahr ist, als sie mittelst der Philosophie die
Thatsachen der Erfahrung in der Natur, wie im Menschen,
richtig deutet und verbindet. Insofern muss sich die Theologie
mit der Philosophie und der Empirie einigen; also
auch, mit der Erfahrung fortschreitend, an ihrer eigenen
Vollkommenheit fortwährend arbeiten und nicht meinen, die
Erde stehe auf ihr Geheiss still, während nur die theologischen
Gehirne stillstehen. Philosophen aber werden
nur dann richtig ertscheiden, wenn sie begabt, vorurtheils-
los und ehrlich offen sind.
Die katholische christliche Kirche besitzt eine wundervolle
ideale Organisation auf echter demokratischer Grundlage
im Geiste des Cbristenthums, nach welchem die
Weisesten herrschen sollen. Wem viel gegeben ist, von dem
wird auch viel gefordert. Wie Alles, ist auch diese Organisation
der Kirche vielfach missbraucht zu Zwecken, welche
im Grunde ihr fremd sein sollen. Christus hatte nicht,
wohin er sein Haupt legte. Die Priester aber treten in
Glanz und Pomp einher. Der Teufel des Hochmuths ist
fürwahr vielen Geistlichen nicht fremd. Sie kämpfen nicht
selten nur für Macht und Besitz, weshalb Dr. Schafße sagt,
die heutigen christlichen Kirchen hängen alle an den Bockschössen
des Kapitals!
AVenn Herr Dr. Sch. Davis als den Klassenhass schürend
darstellt, so spricht er nur als Sektirer und Priester. Seine
Behauptung ist vollständig unwahr. Davis1 Lohren sind
gemässigt und nicht neu. Karl Marx, LassaUe, Rodbertvs,
Schaffle etc. halten unserer heutigen Civilisation ganz andeio
Spiegel vor, in welcher „Führe uns nicht in Versuchung4'
durch die Ueppigkeit und die Prunksucht der oberen zehn
Tausend für den Unbemittelten zum Hohn wird. Herr Dr.
Sch. rührt nur sehr zahm an diesem Punkt. Glaubt man,
inmitten allgemeiner Versumpfung können „im sinnlosen
Kampf um's Dasein" besagte zehn Tausend im besonderen
Sumpf fortquaken im Pfuhl der Gedankenlosigkeit, der zum
Himmel stinkt? — Anderseits zäumt der Humanitätsdusel
und die Weiuerlichkeit das Pferd beim Schwanz auf.
Uebrigens schürt die katholische Kirche, wo es ihrer Macht
dient, den Klassenhass etc. ohne Bedenken. Wer es nicht
aus der Geschichte liest, kann es in ihren Pressorganeu
u. s. w. bis heute studiren. Wer sich aber überzeugen will,
Psychische Studien. September 1886. 27
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1886/0425