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426 Psychische Studien. XIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1886.)
Enianuel Ctaibel über Justinus Kerner.
Herr Albert Dunker theilt im „Halbmonatshefte der
deutschen Rundschau", lierausg. von Julius Rodenberg (Berlin,
Gebr. Paetel) Nr. 21 vom 1. August 1885 in Abth. IT, 11.
S. 180 ff. unter „Emanuel Geibets Briefen an Karl Freiherrn
von der Malsburg und Mitglieder seiner Familie" auch einen
Brief an Frau von Ifeintze, die Schwiegermutter Malsburg's,
mit, welcher im Anschluss an den vorhergehenden 10. aus
Stuttgart, 18. Oetober 1843 über seinen vierwöchentlichen
Besuch bei dem Dichter und GeisterforscLer Justinus
Kern er,*) den Herausgeber der „Seherin von Pre-
vorst",**) des Weiteren folgendermaassen lautet: —
„Den 19. — Sie verlangen von mir ein Glaubens-
bekenntniss in Bezug auf das Eingreifen der unsichtbaren
Welt iii unsere körperliche. Das ist eine schwierige Frage,
zu deren Beantwortung ich weder durch reiche Erfahrungen,
noch durch längeres Studium der dahin gehörigen Gegenstände
befähigt bin. Ohnedies ist das Feld gar weit; gehört
doch das ganze grosse Gebiet der Ahnungen, der bedeutungsvollen
Träume, der prophetischen Gesichter, der
Wunder des Magnetismus mit hieher. — Die Rationalisten
und Aufklärungsmänner haben sich unstreitig die Sache
am leichtesten gemacht, indem sie von vornherein Alles,
was in dies Fach schlug, schlechthin verneinten und für
leere Phantastereien erklärten; ihre Gegenfüsslor. ich möchte
sie die medicinischen Romantiker nennen (und zu diesen
muss ich wohl auch Kerner zählen), haben dagegen wohl
mit allzugrossera Fleiss und vielleicht nicht ohne ein gewisses
Behagen am Wunderbaren und Wunderlichen die
betreffenden Erscheinungen aufgesucht, zusammengestellt
und sich aus einer Reihe beglaubigter und unbeglaubigter
Fälle ein System abgezogen, mit dessen Anwendung sie
jetzt rasch bei der Hand sind. Ich für meinen Theil kann
mich keiner dieser beiden Richtungen anschliessen. Schlechthin
zu leugnen, wo eine Menge Thatsachen vorliegen, bloss
aus dem Grunde, weil wir nicht begreifen, würde mir Thor-
heit und gemeiner Unglaube scheinen; den dunkeln Vorhang
aber lüften zu wollen und gewaltsam in ein unsern
Augen gnädig verhülltes Reich einzudringen, däucht mich
— wenigstens für meine Person — Vermessenheit. Mir
bleibt nichts übrig, als die Sache hingestellt sein zu lassen.
*) Am 18. September 1886 feiert das litterarische Deutschland den
100. Geburtstag seines Lieblingsdieliters Justinus Kerner, des Sängers
von: „Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein** etc.
**) Vergl. „Psych, ßtud." Juli-Heft 1886, S. 334 sub c).
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