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Kiesewetter: Etwas über die sexuellen Verhältnisse der Medien. 435
über die Gräuel der Ketzersecten, soweit sie Zauberei,
geschlechtliche Verirrungen und Kindermord anlangen,
sehr allgemein gehalten und vom Hasse der Partei gefärbt
sind,*) Immerhin aber müssen Thatsachen zu Grunde
gelegen haben, und wir sind vielleicht berechtigt, von einer
finstern magischen Tradition zu sprechen, welche sich von
der Urzeit her auf Ketzersecten und Hexen vererbte, ja
in einzelnen Ausläufern bis in unsere Zeit hineinreicht.
Bevor ich ältere hierhergehörige Fälle schildere, so will
ich eine auf unsere Zeit bezügliche Stelle aus Wuttke's „Volks-
Aberglaube der Gegenwartw hierher setzen: — „Solche
Frevel gehören nicht nur der Vergangenheit an, sondern
kommen auch jetzt immer noch vor. Aus Würtemberg
schreibt uns ein erfahrener und bewährter Seelsorger:
'Unterschreibungen mit Blut kommen vor, wie wohl ein
Geheimniss hierin liegt, das schwer zu durchschauen ist.
Personen, welche die Anfechtung haben, als hätten sie sich
mit Blut verschrieben, giebt es hier und da; aber ich
konnte nicht recht darauf kommen, wieweit sie sich täuschten,
wieweit sie mit hellem Bewusstsein in dergleichen sich
einliessen. Dass es Corporationen giebt, welche Jünger
für ihre Geheimkunst suchen und sie durch schauerliche
Oeremonieen einweihen, die auch Unerhörtes zu Stande zu
bringen scheinen, in weite Entfernungen tödten und jeden
Einfluss ausüben zu können wenigstens vorgeben, davon
habe ich vor einigen Monaten die sicherste Kunde bekommen
von einem jungen Mann, der bereits die niedern
Stuien durchgemacht hatte und, als es zum Aeussersten
kommen sollte, plötzlich, vom Gewissen geschreckt, fromme
Worte aussprach, durch welche alle Künste vereitelt wurden,
weil Bestürzung auf sämmtliche Anwesende fiel. In panischem
Schrecken verliess der junge Mann die Gesellschaft,
hatte aber viel Mühe, von allen Banden sich los zu winden,
und musste selbst für sein Leben besorgt sein. Derselbe
ist nun gründlich bekehrt. Aber kein Mensch vermag
dieGräuel zu ahnen, von welchen er zu erzählen
weiss.' — Eine ähnliche Kunde von einer solchen Gesellschaft
ist uns aus Frankreich zugekommen." — (Mir wurde
von bester Seite die Existenz einer derartigen ungarischen
Gesellschaft verbürgt. K.) Wir werden wohl nicht fehl schlie-
*) Unter diese werden ohl auch die Beschuldigungen zu rechnen
sein, welche man 1307 den „Tempelrittern" unter der Folter erpresste,
als König Philipp der Schöne von Frankreich sie im Bunde mit dem
damaligen Papste um ihre reichen weltlichen Besitzthümer zu seinem
eigenen Nutzen erleichtern wollte. — Die Red.
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