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474 Psychische Studien. XIII. Jahrg. 10. Heft. (October 1886.)
wenn's nur ein gutes Gedicht giebt. Du sendest Deine
Gedichte mir nach über's Meer, und ich werde sie den
schönsten sinnenden Blumenbäumen Amerikas vorlesen. Du,
Uhland, Kerner, Schwab und alle andere Dichterfreunde
von mir« jeder erhält seinen eigenen Bezirk von mir in
meinem Waldgebiet, und jeder dieser Bezirke wird eingeweiht
mit dem schönsten Gedicht seines Patrons, und
der ganze Urwald wird von Sehnsucht ergriffen werden nach
Euch." — Bei Lenau1 s manchmal für ihn so verhängnissvollem
Eigensinn war von Haus aus nicht anzunehmen, dass
die Warnung eines seiner Freunde ihm nützen würde. Schon
als er jene Worte schrieb, hatte er sich zuvor in Bönnig-
heim in die amerikanische Gesellschaft mit 5000 FL für
1000 Morgen Land zum Anbau eingeschrieben, — und
Kerner kann nur noch hoffen: — „Es ist vielleicht das Land
der Prüfung für ihn, und Gott wird es nicht ohne seine
weisen Absichten zulassen." — Lenau stand bei dem
Gedanken seiner Reise nach Amerika so ganz in dem
Zwang einer überwuchernden und blendenden Phantasie,
dass es am Ende bei seinem reizbaren Temperament das
Beste schien, ihn gewähren zu lassen. Wohl versuchte
namentlich Kerner alle möglichen Mittel, ihm den Gedanken
auszureden, und allen begeisterten Worten Lenau!s gegenüber
kann er nur sagen: — „Das ist Alles so dichterisch,
es klingt rein dämonisch. Ich sah kürzlich seinen Dämon,
es ist ein haariger Kerl mit einem Wickelschwanz, der
flüstert ihm von jenen Urwäldern so zu, der lässt ihm keine
Ruhe. Um Gotteswillen, Mayer, komm hierher und rette
mir den Niembsch aus dem Wickelschwanz dieses amerikanischen
Gespenstes." . . . Zuletzt von allen Seiten noch
einmal bestürmt, dazubleiben, erklärte Lenau: — „Ich reise
doch. Mich regiert eine Art Gravitation nach dem Unglück.
Sozusagen ein Dämon des Unglücks. Merkt dieser Kerl
ja, dass mir ein Stern aufgehen wolle, flugs wirft er mir
seine rauhe Pelz- oder Narrenkappe über die Augen." —
Der Stern, der in diesem Falle den Kamen „Lotte" trug,
stand ihm noch immer vor Augen, aber es scheint ihm:
„Es hat sich ein anderer Geist als der Dämon des Unglücks
in mein Herz begeben, und treibt mich nach Amerika. Ich
will mir dort eine bessere Existenz schaffen." . . . Noch
einmal hatte Kerner einen sonderbaren Versuch gemacht,
Lenau festzuhalten, indem er in einem Schreiben an einen
Ungenannten diesen benachrichtigte, „dass der Herr, der
heute mit Herrn Oesterle bei Ihneu war und sich Niembsch
von Strehlenau hiess, aus meiner Irrenanstalt ohne mein
Wissen sich entfernt. Schon seit Jahren hat er die fixe Idee,
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