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Öessmann: Das Gedankenlesen. 499
unter die Ausschnitte gestellt werden, ein derartiger, dass
man diesen Glauben wohl bald fallen lässt.
Die Bewegung der Scheibe beim Buchstabiren von
Worten oder ganzen Sätzen ist nämlich — wenn das Medium
bei voller Kraft — eine ziemlich gleichmässige Rotation
, welche an jene des Typenrades beim ffugh'schen
Typendrucktelegraphen erinnert; d. h. die Scheibe rotirt,
bis der gebrauchte Buchstabe unter dem Fenster sichtbar
ist, und wird in demselben Augenblicke durch einen jähen
Ruck angehalten, um nach kurzem Stillstand zum nächst
gebrauchten Buchstaben — bei welchem sich das Spiel in
gleicher Weise wiederholt — weiter zu rotiren. Nur wenn
die Kraft des Mediums schwach ist, — welcher Umstand
z. B. bei mancher Art von Unwohlsein, geistiger Aufgeregtheit
, grosser Müdigkeit der medianimen Person, ferner
bei sehr grosser Kälte und feuchter Luft einzutreten
pflegt, — nimmt das Buchstabiren einen etwas unsicheren
Charakter an.
VI. Versuch.
Als weiteres Experiment (dieser Versuch wurde mit
einem neuen Medium, welches erst in zwei Sitzungen von
mir entwickelt worden, angestellt) wurde von mir ein Name
auf ein Zettelchen geschrieben, das letztere, vierfach gefaltet
, in ein blaues dickes Couvert gegeben und dieses
fünffach mit grossen Siegeln verschlossen, um ein geheimes
Oeffnen des Couverts — welches ich übrigens vor dem
Versuche beständig in meiner Brieftasche verwahrt hatte
— sowie ein Durchsehen der Schriftzüge unmöglich zu
machen.
Das so präparirte Couvert wurde nun dem Medium
und dessen Nachbarn in der Kette derart unter die Hände
gelegt, dass jede der beiden Personen eine Hand auf dem
Couvert hatte, und ein Theil des letzteren mir beständig
sichtbar blieb, also eine unlautere Manipulation — wenn
ich eine solche Eventualität bei der mir genugsam bekannten
Ehrenhaftigkeit der Versuchspersonen überhaupt
annehmen wollte — absolut ausgeschlossen war.
Da dieser Versuch an einem Abende zu Beginn der
Experimente, als die Kraft des Mediums erst im Ansteigen
begriffen war, angestellt wurde, dauerte es etwas länger,
bis die Scheibe zu rotiren begann; dann aber wurde mit
Leichtigkeit der auf dem Zettel geschriebene Name: „Ludmilla
" durch die Buchstabenscheibe wiedergegeben.
Die mediumistische Kraft des Mediums wechselt nämlich
bei Versuchen sehr stark. Nicht nur, dass dieselbe
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