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28 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1887.)
Biologischen Untersuchungen mit ihren unendlichen Raum-
und Zeitverhältnissen und ihrer das ewige und unendliche
All umfassenden Betrachtungsweise in vergleichenden
Gegensatz zu den engen Grenzen anthropocentrischer Auffassung
und betont, wie schwierig es sei, die verwickelten
und complicirten Vorgänge im historischen, sittlichen,
religiösen und gesellschaftlichen Leben der Menschheit
unter allgemeinere Gesetze und höhere Prin-
cipien zu bringen, so dass man geneigt werde, allen diesen
Bemühungen, in das unentwirrbare Chaos ethischer Processe
Ordnung zu bringen und in der scheinbaren Willkür menschlichen
Thuns die höhere Regel nachzuweisen, jeden Erfolg
abzusprechen. — „Und doch muss auch hier nicht nur eine
oberste Gesetzmässigkeit nachweisbar sein, sondern
auch die Fäden sind aufzufinden, die alles sittliche
und gesellschaftliche Leben mit dem der Natur
verbinden, und die Wurzeln sind blosszulegen, durch
welche dasselbe mit dem physischen und terrestrischen
, ja kosmischen Boden zusammenhängt.
Und geht man auf diesem Wege auf das Wesen des
Sittlichen näher ein und vergleicht die Natur desselben
mit allen den natürlichen Stoffen, aus denen es
allmählich emporwächst und die nur die notwendigen
Bedingungen sind, durch welche sein höheres
Wesen zur Entfaltung gelangt: so hat sich mit einem
Schlage das Bild verändert, und das physische Weltall mit
seinen so stetigen und grandiosen Verhältnissen erscheint
uns gegenüber dem sittlichen Gebiet, auf welchem plötzlich
uns eine im ganzen Kosmos unentdeckbare höhere
Geistigkeit entgegentritt, als das untergeordnete oder
doch wenigstens minder gleichwerthige Moment. Dort die
monotone Unendlichkeit zeitlicher und räumlicher Ausdehnung
, hier die gehaltvollere und interessantere Unendlichkeit
rein ideeller Geistigkeit, die sich alles materielle
Sein nur als Vorstufe und als den Boden ihrer Wirksamkeit
setzt." — Aut diesem höheren Standpunkte seien erst
KanCs Worte voll zu begreifen und zu würdigen, wenn er
sagt: —
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer
und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter
und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt,
der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz
in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheit verhüllt,
oder im Ueberschwenglichen, ausser meinem Gesichtskreise,
suchen und bloss vermuthen; ich sehe sie vor mir und verknüpfe
sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.
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