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46 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1887.)
noch weit gefährlicher für die Nippsachen in meiner Nähe,
Meine grossen Kameraden, die 'Schauspieler des Lehens',
werden rufen: 'Das ist nicht die grosse Kunst. Um gut
wiederzugeben, muss man nichts empfinden. Diderot hat es
gesagt, Coquelin auch/ Sie haben ohne Zweifel Beide
Eecht: man sehe nur, welch ausgezeichneter Schauspieler
und grosser Künstler Coquelin ist. Was liegt aber daran?
Ich bleibe meinem Wahne treu. Wir Anderen, die
Vibrirenden, wir müssen glauben können, damit die Zuschauer
glauben. Unser wahres Leben, es sitzt in dem
glühenden Heerde aller erlebten oder erträumten Leidenschaften
. Es ist das beständige Pochen unseres Herzens.. •,
die unaufhörliche Kopfarbeit . . . , die ßetrübniss über
unsere Unvollkommenheit . . . , die Hoffnung, vollkommen
zu werden, kurz, die Nervöse im höchsten Grade."
(„Europa"-Ohronik No. 36, 1885.)
A) Ueber „Julia Daudet als Mitarbeiterin ihres Gatten",
des französischen Dichters Alphorn Daudet, sagt Erau
Helene Stökl in ihrer in „Der Bazar" Nr. 11, Berlin, den
9. März 1885, enthaltenen litterarischen Skizze unter Anderem
: — „'Impressions de nature et d'art' heisst das erste
der selbständig und unter vollem Namen von ihr herausgegebenen
Werke. Dieser Titel entspricht trefflich dem
Buche, dessen Blätter ganz mit Erinnerungen, Ideen-Asso-
ciatione'i, Träumereien, aber durchaus nicht mit Thatsachen
oder Begebenheiten angefüllt sind. 'Nicht die Thatsachen
sind es, welche Eindruck auf mich machen', bekennt sie
hier, 'sondern einzig und allein die Atmosphäre, welche
sie um sich zu verbreiten wissen, die Stunde, in der ich sie
erfasste und die ihnen in meinem Gedächtniss stets ein ganz
bestimmtes Gepräge giebt.' Für sie existiren Dinge und
Ereignisse weniger nach ihrem thatsächlichen Wesen, als
nach dem leichten Schauer, den sie hinter sich lassen und
der nur von äusserst zart besaiteten Seelen empfunden
werden kann. Sie wagt es, den leisesten Bewegungen der
Seele, die gewöhnlich mehr errathen als ausgedrückt werden,
eine präcise Eorm zu geben, und setzt ihre ganze Kunst
darein, dies zu thun, ohne dass die feinen Nüancen, die fast
unmerkbaren Schwingungen des Gedankens durch die Ueber-
tragung auf das Papier verwischt würden. 'En art, pour
etre exaet, il faut que cela tremWe aux yeux', sagt sie selbst
höchst bezeichnend. — Zur Lösung dieser Aufgabe gehört
aber eine Meisterschaft des Stils, wie sie sich sehr selten
findet.4' — Ein Pariser Kritiker nennt ihn „d'une splendeur
orfevrie". In ihrem Buche: „L'Ei.fance d'une Parisienne"
erzählt sie z. B. auch von ihren kindlichen religiösen Vor-
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