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Kiesewetter: Die Theorie von der psychischen Kraft etc. 57
weil alles Geschaffene in einem natürlichen Zusammenhang
steht und das Ganze eine Mannigfaltigkeit von Kräften ist,
welche einander auf verschiedene Art anziehen und ab-
stossen, und vermittelst der Sympathie durch eine Kraft
zu einem Leben vereinigt werden. ,Jn der dreifachenelementaren
, himmlischen und geistigen Welt herrscht ein
solcher Zusammenhang und eine derartige Uebereinstimmung,
dass jede obere Kraft, durch das einzelne Untere in langer
und ununterbrochener Reihe ihre Strahlen austheilend, bis
zum Letzten strömt, und andererseits das Untere durch
die einzelnen Stufen des Obern bis zum Höchsten gelangt.
Das Untere ist mit dem Obern gegenseitig so verbunden,
dass der Einfluss vom Endpunkt des Letzteren, von der
ersten Ursache aus bis zum Untersten sich erstreckt, wie
bei einer angespannten Saite, die, wenn man ein Ende derselben
berührt, plötzlich ihrer ganzen Länge nach erzittert,
indem die Berührung auch am andern Ende wiederhallt.
"Wird daher etwas Niederes in Bewegung gesetzt, so wird
es auch das Obere, denn dies entspricht jenem wie die
Saiten an einer wohl gestimmten Zither."
So schildert Heinrich Cornelius Agrippa von Neitesheym
(1486—1535) in seiner 1531 gedruckten „Occulta Phiioso-
phia" die Weltharmonie und führt (Lib. III cap. 36) eine
Parallele des Makrokosmos und Mikrokosmos durch, indem
er sagt: — „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde;
denn wie die Welt das Bild Gottes ist, so ist der Mensch
das Bild der Welt. Daher legen dies Einige derart aus,
dass der Mensch nicht einfach ein Ebenbild Gottes, sondern
nach dem Bilde, gleichsam als Bild des Bildes, geschaffen
sei, weshalb er Mikrokosmus, d. h. kleine Welt, genannt
wird. — Wie Gott diese ganze Welt, und was in ihr ist,
in seinem Geiste trägt, so umfasst auch die menschliche
Seele allein durch ihren Willen den Körper. Die mit dem
Worte Gottes besiegelte Seele musste nothwendig auch den
körperlichen Menschen nach dem vollendetsten Bilde der
Welt anziehen. Der Mensch heisst daher die zweite Welt
oder das Ebenbild Gottes, weil er alles in sich enthält, was
in der grossen Welt enthalten ist, so dass es nichts giebt,
was sich nicht in Wahrheit und wirklich im Menschen
findet* Und zwar trifft man bei ihm alles mit denselben
Verrichtungen, wie in der grossen Welt. In ihm sind die
Elemente ganz und gar nach den Eigenschaften ihrer Natur,
in ihm ist der ätherische Körper als Vehikel der Seele, in
ihm ist die vegetative Kraft der Pflanzen, die empfindende
der Thiere, der himmlische Geist, die höhere Vernunft und
der göttliche Gedanke. Dies Alles befindet sich bei ihm
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