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Wittig: Professor Jäger und die Materialität der Seele etc. 81
durch ihr phantasirendes Wesen die Yervollkommung der
physiologischen Lehre auf lange Zeit verhindert hat,
kämpft er an; anderseits aber ist ihm der unüberwindliche
Hass zuwider, den zufolge jener phantastischen Lehren die
medizinische Welt gegen jede metaphysische Spekulation
gefasst hat. Er fürchtet eine verderbliche Zerstreuung des
wissenden Geistes in die Aeusserlichkeit zusammenhangsloser
Einzelheiten, bedauert das Misstrauen der Naturforscher
gegen jede in sich zusammenhängede Gedankenreihe und
beklagt den Übeln Einfluss der Gewohnheit, ohne vorgängige
theoretische Ueberlegung der überhaupt möglichen und
denkbaren Erklärungsprincipien sich den verwickeltsten Erscheinungen
ohne weiteres gegenüberzustellen und abzuwarten
, welche ganz zufälligen Hypothesen sich wohl aus
der Association der hierbei angeregten Vorstellungen entwickeln
werden. Die Empirie unserer Tage hemmt, nach
Lotzens Worten, den Fortschritt auf doppelte Weise: sie
ist bei weitem nicht exaet genug, um die Grundlage einer
wahrhaft naturphilosophischen Physiologie zu bilden. Doch
ist er überzeugt, dass die nothwendige Grundlage aller
Physiologie und Pathologie immer naturphilosophische Betrachtungen
bilden müssen, und im Ernst kommt es ihm
darauf an, der spekulativen Betrachtung das Recht der
Entwickelung in Bezug auf den empirischen Inhalt der
biologischen Wissenschaft zu sichern," —
Hier wollen wir noch einschalten, dass Prof. Zöllners
„Koraetenbuch," welches Anfang 1872 erschien, ganz dieselben
Grundsätze auf dem Gebiete der Astrophysik und
der gesammten Naturforschung nicht bloss gefordert,
sondern auch gegenüber den lebenden Haupt-Koryphäen
derselben in schneidiger Kritik angebahnt und in seinen
„Wissenschaftlichen Abhandlungen" siegreich weiter durchgeführt
hat. Wenn ihn auch seine angegriffenen Zeitgenossen
und Collegen deshalb als einen Ruhestörer und
an Grössen Wahnsinn Leidenden eine Zeit lang zu verdächtigen
wussten, so wird die Zukunft gerechter und kühler
über ihn urtheilen. In der Sache selbst behält er vollkommen
Recht, wenn ihm auch die betreffenden Personen für
seine scharfe Kritik noch nicht selbst beizupflichten es über
sich gewinnen können. Doch ist er in allen Stücken mehr
der von ihnen provocirte, als der provocirende Theil gewesen
, „Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt,
schwankt sein Charakterbild in der Geschichte," kann man
von ihm mit vollstem Recht behaupten. Alle diese grundlegenden
Vorbetrachtungen aber haben, wie wir noch sehen
Psychische Stadien. Februar 1887. 0
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