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Carl du Prel: Die Orakel.
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Bedingung der prophetischen Begeisterung ver-
mutheten. Ammonius bei Plutarch sagt: — „Wenn jene
Dünste einmal da sind, so werden sie gewiss auch den
Enthusiasmus bewirken, und die Seele, nicht allein der
Pythia, sondern jeder anderen Person, die sie berühren, in
gleiche Begeisterung versetzen. Aus diesem Grunde ist es
sehr abgeschmackt, dass man sich bei dem Orakel nur
einer einzigen Frauensperson bedient, dieser so vieles Ungemach
aufbürdet und sie ihr ganzes Leben hindurch
keusch und unbefleckt zu erhalten sucht." — Plutarch aber
entgegnet, dass die Kraft des Dunstes nicht auf alle, ja
nicht einmal auf dieselben Personen immer auf die gleicne
Weise wirke; sie sei nur als der Anfang und der Zunder
anzusehen, der auf die Empfänglichen einwirke *). Aehnlich
sagt Cicero: — „Die unsterblichen Götter zeigen sich zwar
persönlich uns nicht, aber ihre Kraft verbreiten sie weit
und breit; sie schliessen dieselbe theils in die Höhlen der
Erde ein, theils verweben sie sie mit der Natur des
Menschen. Denn die Kraft der Erde begeistert die
Pythia zu Delphi, die der Natur die Sibylle."*) — Nach
dieser Ansicht liegt demnach die Weissagung in der Natur
des Menschen als ihrer Ursache; sie kann aber durch
äussere Mittel, als Bedingung, erweckt werden; sonst wäre
es nicht möglich, dass auch ohne diese Bedingung, nämlich
bei den Sibyllen, geweissagt wird.
Ec ist vorweg zu erwarten, dass Plutarch, der selber
Oberpriester in Delphi war, dieser richtigen Einsicht am
nächsten kommen musste. Seiner Ansicht nach muss der«
Seele des Menschen selbst die Fähigkeit zu-l
gesprochen werden, in die Zukunft zu sehen, aber
allerdings nicht im normalen, sondern im enthusiastischen
Zustand. Er beschreibt aber diesen Zustand in einer-
Weise, dass wir daraus auf Somnambulismus schliessen
müssen, der ja ohnehin fast der einzige erfahrungsmässig
bekannte Zustand ist, in welchem Fernsehen stattfindet.
Er sagt: — „Wenn wir der Wahrsagerkunst die Seele des
Menschen als Materie und den begeisternden Dampf oder
Hauch als ein Instrument oder Plektron zuschreiben, so
wollen wir dadurch keineswegs den Einfluss der Gottheit
und Vernunft auf dieselbe ableugnen. Denn fürs Erste wird
sowohl die Erde, die jene Dünste erzeugt, als die Sonne,
die der Erde die Kraft zu jeder Mischung und Veränderung
mittheilt, von uns nach der Vorschrift unserer Vorfahren
*) PluL „def. orac.a
*) Cicero „de div.u I. 36.
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