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200 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1887.)
als eine Gottheit betrachtet. Sodann lassen wir ja die
Dämonen noch immer Aufseher, Wächter und Vorsteher
dieser Mischung sein, welche, wie bei einer Musik, zur gehörigen
Zeit das eine nachlassen, das andere anziehen, oder
auch die allzuheftigen Wirkungen der Begeisterung mildern,
und die Bewegungen für die Menschen, die davon ergriffen
werden, unschädlich machen/41)
Diese Ungefährlichkeit der Begeisterung
scheint jedoch nicht ausnahmlos gewesen zu sein; denn
Plutarch selbst erzählt folgenden Fall: — „Wie ging es nun
aber der Pythia ? Sie stieg zwar zum Orakel hinab, wiewohl
ungern und wider Willen; allein gleich bei den ersten Antworten
merkte man aus ihrer rauhen und gleich einem Schiffe
mit Gewalt fortschiessenden Stimme, dass sie von einem
bösartigen, das Reden hindernden Dunst ergriffen sei, und
desswegen nichts Deutliches hervorbringen könne. Zuletzt
stürzte sie ganz ausser sich mit fürchterlichem Geschrei zur
Thüre hinaus und warf sich zu Boden, so dass nicht a^ein
die Seher, sondern auch der Prophet Nikander selbst und
alle anwesenden Priester davon liefen. Nicht lange hernach
gingen sie wieder hinein und trugen sie ganz sinnlos weg;
aber sie lebte nur noch wenige Tage."2)
Plutarch meint also, dass sowohl Apollo als die Dämonen
, seine Diener, bei den Orakeln thätig sind, aber
doch nur in so fern, als sie die für die Begeisterung notwendige
Bedingung liefern. Es sei lächerlich, anzunehmen,
dass Apollo „in den Leib der Wahrsager dringe, aus ihnen
rede und Mund und Stimme wie Instrumente gebrauche."
Und wenn er auch sagt, dass die Dämonen zeitweilig die
Orakel verlassen, die alsdann „wie ungebrauchte musikalische
Instrumente unthätig und sprachlos liegen44, so ist er sich
doch klar darüber, dass die Priesterin nicht gleichsam
als eine von Apollo besessene, passiv Begeisterte anzusehen
sei, sondern als activ Hellsehende: — „Wenn
die Seelen, die vom Körper getrennt sind, oder die noch
keinen gehabt haben, nach deiner und des göttlichen
Hesiodus Behauptung Dämonen sind, warum wollen wir
denn eben die im Körper befindlichen Seelen jener Kraft
berauben, wodurch die Dämonen zukünftige Dinge zu wissen
und vorher zu verkündigen im Stande sind?44 — Weiterhin
spricht Plutarch einen Grundsatz aus, den jede transcen-
dentale Psychologie anerkennen muss: — „Denn dass die
Seelen erst nach ihrer Trennung vom Leibe eine neue Kralt,
*) PluL „def. or.
2) Ebeadort.
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