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Carl du Prot: Die Orakel.
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Walde die Nase stiess; jetzt soll das Jenseits er-
fasst werden mit hinübergestreckten Armen
von Fleisch und Bein! Behalten Sie das Haus und
lassen Sie mich machen VH" ...
(Fortsetzung tolgt.)
Die Orakel.
Von Dr. Carl du Prel in München.
IL
(Fortsetzung von Seite 202.)
Der Zustand nun, in welchem erfahrungsmässig Fernsehen
eintritt, ist der tiefe Schlaf, als Annäherung an
den Somnambulismus, und der Somnambulismus selbst.
Wir werden also annehmen müssen, dass die Priesterinnen
durch die aufsteigenden Dämpfe in Somnambulismus ge-
riethen. Damit stimmt alles überein, was wir über den j
Zustand der Pythia erfahren, zunächst die sinnliche Bewusst-
losigkeit und die Convulsionen, die wir bereits kennen
gelernt haben. Wir werden aber noch andere gemeinschaftliche
Merkmale der Pyihien mit unseren Somnambulen
finden, die jeden Zweifel beseitigen: die Gedankenübertragung
, das Sprechen in gebundener Redeform, das Hellsehen
, das Fernsehen in Zeit und Raum, und das erinnerungslose
Erwachen.
Die Priesterinnen in Delphi waren anfänglich
Mädchen, deren zwei in Thätigkeit waren, während eine
dritte in Bereitschaft gehalten wurde.1) Als jedoch ein
Thessalier, Echekrates, einst eine Priesterin verführte, nahm
man nur mehr Frauen in vorgerückten Jahren.2) Man
wählte sie sorgfältig unter den Bewohnerinnen von Delphi
aus,3) suchte aber keineswegs gebildete, sondern im Gregentheil
möglichst unwissende Frauen. Man erkannte also das
weibliche, durch den Cölibat zur Hysterie disponirte Geschlecht
als das geeignetere. Zunächst ist es dem Schlafleben
unserer Somnambulen analog, dass die Priesterin
innerhalb eines häufig mit Convulsionen verbundenen
Schlafes innerlich erwachte, in Ekstase, Enthusiasmus,
Manie gerieth und darin sprach. Dass die das Orakel
Befragenden die Priesterin meistens gar nicht zu sehen be-
*) Plut. „def. or."
*) Diod. XVI. 26,
*) Euripidcs: „Ion." 91. 92. 1322.
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