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Maack: E. T\ A. Hoffmann als Mystiker. 293
ist es interessant, wie Hoffmann urtheilt über den Feind
des Märchens, über die Verstandesbildung, die „Aufklärung",
welcher unsere Gegenwart nach dem Urtheil gewisser
arroganter Wissenschaftler und nach dem popularisirenden
Nachgeplapper seitens der blinden Menge ja auch angehören
soll. „Das fremde Kind" (II. 302 ff.) schildert den Zu-
sammenstoss von Natur und Oultur. Der Magister Tinte
wird Hofmeister bei den in Feld und Wald aufgewachsenen
Kindern des Herrn Brakel auf Brakelheim. — „Als nun
die Kinder sich nicht rückten und rührten, wurde die Frau
von Brakel böse und rief: 'Potztausend! ihr Kinder, was ist
denn das? Der Herr Magister wird Euch für ganz ungeschliffene
Bauernkinder halten müssen. — Fort! gebt dem
Herrn Magister fein die Handi' Die Kinder ermannten
sich und thaten, was die Mutter befohlen, sprangen aber,
als der Magister ihre Hände fasste, mit dem lauten Schrei:
*0 weh! o weh!' zurück. Der Magister lachte hell auf und
zeigte eine heimlich in der Hand versteckte Nadel vor, womit
er die Kinder, als sie ihm die Hand reichten, gestochen.
1 Warum thaten Sie das, lieber Herr Magister Tin(e\ fragte
etwas missmuthig der Herr von Brakel. Der Magister er-
wiederte: 'Das ist nun einmal so meine Art, ich kann davon
gar nicht lassen.' Und dabei stemmte er beide Hände in
die Seite und lachte immerfort, welches aber zuletzt so
widerlich klaog wie der Ton einer verdorbenen Schnarre."
— Die Natur unterliegt zwar im Kampfe mit der Cultur,
aber „das fremde Kind" umschwebt seine früheren Spiel-
Genossen beständig und lässt sie in ihrer Liebe zu ihm
glücklich und froh werden immerdar. Ferner wird im Anfang
von „Klein Zaches genannt Zinnober" (IX. 14 ff.) die Aufklärung
eingeführt, deren wichtige Vortheile Hoffmann vortrefflich
ironisirt. Endlich giebt „die Geschichte von dem
Könige Ophioch und der Königin Liris" in der „Prinzessin
Brarnbilla" (IX. 198 ff.) ein Bild der poetischen Vorzeit.
Am Schluss ruft der Magus Hermod dem König Ophioch aus
den Lüften die Worte herab: „Der Gedanke zerstört die
Anschauung, und losgerissen von der Matter Brust, wankt
in irrem Wahn, in blinder Betäubtheit der Mensch heimathlos
umher, bis des Gedankens eigenes Spiegelbild dem Gedanken
selbst die Erkenntniss schafft, dass er ist, und dass er in
dem tiefsten reichsten Schacht, den ihm die mütterliche
Königin geöffnet, als Herrscher gebietet, muss er auch als
Vasall gehorchen."
(Schluss folgt.)
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