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296 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1887.)
Eine andere Parallele ist die Zweideutigkeit der
Orakel, wie mancher somnambulen Prophezeiung, Die
Sprache der Orakel war oft eine dunkle Bildersprache, die
so lange unverständlich blieb, bis der Ausgang der Sache
die Dunkelheit aufhellte. Das Symbolische, Allegorische,
Emblematische, Ironische und Zweideutige spielt schon in
unseren gewöhnlichen Träumen eine Kolle, und der Somnambulismus
ist eben nur dem Cxrade nach vom
gewöhnlichen Schlaf verschieden. Dieselbe dunkle
Sprache finden wir bei den Propheten des alten Testaments
und in den Quatrains des JSostradamus. Von den Schani
anischen Zauberern wird gesagt, dass ihre Sprache
oft so dunkel und poetisch lautete, dass der Dollmetscher
sie nicht zu übersetzen vermochte. Von der Lenormand, der
von Napoleon I. viel consultirten Somnambulen, sagt ein
Berichterstatter, ihre Aussagen über die Zukunft seien oft
so räthselhaft gewesen, wie bei den Pythien und Sibyllen.1)
Auch beim zweiten Gesicht sind die Visionen manchmal
nicht dem späteren Vorgang entsprechend, sondern
symbolisch, dem Visionär seibst unverständlich, der sich an
einen Ausleger wendet. Beim Tode Gloster's lässt Shakespeare
den Cardinal Beaufort ausrufen: — „Geheimnissvolles Gericht
Gottes! mir träumte diese Nacht, der Herzog sei stumm
und könne kein "Wort reden/4 2) Auch Goethe erzählt in
„Dichtung und Wahrheit" symbolische Wahrträume seines
Grossvaters.
In gleicher Weise sagt nun Plutarch, dass Apollo in den
Orakeln weder rede, noch schweige, sondern nur andeute.
Auch Cicero sagt, die Orakel seien oft verschlungen und
dunkel, so dass der Erklärer einen Erklärer nöthig habe,
oder so zweideutig, dass man sie einem Dialektiker vorlegen
müsse.3) Die Lacedämonier, die wegen des Krieges mit
Athen befragten, erhielten die Antwort, dass sie, wenn sie
die Nachkommen des Pausanias nicht zurückriefen, mit
silbernen Pflügen ackern müssten. Diess wurde so ausgelegt
, dass eine Hungersnoth eintreten würde und Alles
so theuer gekauft werden müsste, wie wenn sie mit silbernen
Pflügen ackerten.4) Ein symbolisches Orakel erhielten die
Chalkidier bezüglich ihrer Auswanderung: —
„Dort, wo der Apsia heiligster Strom sich mischt mit der
Meerfluth,
Und an der Mündung selber das Weib sich freiet den Gatten,
Dort nur b.iue die Stadt!"
*) Kerner: „Blätter aus Prevorst". XI. 64.
2) Shakespeare: „Heinrich VI." iL 3, 2.
3> Cicero „de div." IL 56.
4) Plut. „Cur Pythia« etc.
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