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Carl du Prel: Die Orakel.
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Als sie nun am Flusse Apsia eine Weinrebe fanden, die
sich an einem wilden Feigenbaum emporrankte, erkannten
sie in diesen Mann und Weib, und erbauten die Stadt.1)
Als die Lacedämonier nach Delphi schickten, um zu erfahren
, wo die Gebeine des Orestes begraben lägen, erhielten
sie die Antwort: —
„Liegt ja Tagea, die Stadt, in Arkadiens breiterem Flurland:
Alldort blasen, vom Zwang erzeugt, die zweierlei Winde —
Stoss antwortet dem Stoss, und Unheil liegt da auf Unheil.
Dort umschliesst die lebendige Erde den Sohn Agamemnon'*;
Bringst du dir diesen zurück, so hast du Tagea llesi^gt schon."
Damit war nach der Ansicht des Liches, der in der That
den Sarg mit den Gebeinen fand, eine Schmiede gemeint;
unter den zwei Winden waren die Blasebälge verstanden,
unter den Stössen Amboss und Hammer, und Unheil auf
Unheil bedeutete das Eisen auf dem Bisen, welches zum
Unheil der Menschen erfunden sei.2) Als die Athener nach
Delphi schickten, um vor dem Kriege mit Xerxes das Orakel
zu befragen, wurde ihnen gerathen, Stadt und Land zu
verlassen; nur die hölzerne Mauer würde unverheert bleiben,
welchen Ausdruck Themistokles auf die Schiffe bezog, weshalb
er zur Seeschlacht rieth.8)
Mit Bezug nun auf diese Dunkelheit und das Gewundene
seiner Aussprüche hatte Apollo den Beinamen Loxias —
Xo£oq — schief, verdreht.4) Oft aber hatte die Zweideutigkeit
zur Folge, dass das Vertrauen in den Spruch enttäuscht
wurde, ja dass der befolgte Rath zum Verderben des
Fragenden ausschlug. Als Crösus fragte, ob er lange
herrschen würde, erhielt er die Antwort: — „So lauge, bis
die Meder von einem Maulthier beherrscht werden." — Unter
diesem Maulthier war aber Oyrus verstanden, der einen
Perser zum Vater, eine Medierin zur Mutter hatte.5) Dem
Herkules, der wissen wollte, wann seine Dienstbarkeit unter
der Königin Omphale enden würde, wurde die Befreiung von
allen Leiden nach fünfzehn Jahren versprochen. Nach
fünfzehn Jahren starb er. Als die Lacedämonier das Land
Arkadien bekriegen wollten, rieth das Orakel, sich auf
Tegea zu beschränken; dort würden sie den Boden mit
Füssen treten und das Land mit dem Maasse der Leine
messen. Sie unterlagen aber irn Kampfe, mussten die
Felder der Tegeaten bebauen und mit der Leine messen.6)
*) Dhdcr. „VIII. Fragm."
*) JHod. „IX. Fragm." — Herodot I. 67. 68.
3) Herodot VII, 140—143.
Plut. „de garuiit."
5) JHod. „IX. Fragm."
Herodot I. 64.
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