http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1887/0357
Psychische Studien. XIV. Jahrg. 8. Heft. (August 1887.) 345
E, T. A. Hoffmann als Mystiker,
Von Ferdinand Ulaack.
III.
(Schluss von Seite 293.)
Man kann nun drei Arten von Märchen aufstellen.
Die höchste Gattung bilden jedenfalls diejenigen, bei welchen
der Dichter als Seher die Wunder eines höheren, uns
zur Zeit noch unbekannten (sei es realen, sei es idealen)
Reiches verkündet. Derartige Dichtungen verdanken einem
unbewussten Vorgang in dem Innern des Autors ihr
Dasein. Ihnen gegenüber stehen die mit bewusster
Tendenz geschaffenen Märchen. Es handelt sich in diesem
Fall darum, eine bestimmte Idee zu symbolisiren, zu alle-
gorisiren, um sie als Object einer Gefühls-Anschauung
mittheilbar und für Andere leichter verständlich zu machen.
Während die ersteren, echten, wahren Märchen
Schöpfungen der Kunst, der Seele sind, sind die allegorischen
dagegen künstliche, geistige, unter
Umständen geistreiche, Verstandes-Schöpfungen, die natürlich
auch ihren — aber immerhin nur sekundären — Werth
haben können. Endlich giebt es regellose Märchen
ohne dichterische Intuition, ohne philosophische Tendenz,
welche eben vermöge der phantastischen Sprünge ihrer
Handlungen und Personen den Leser nur auf einige
Augenblicke unterhalten sollen. Freilich — und das darf
nicht übersehen werden — sind es oft die letzteren, in
welchen der Dichter ohne eigenes Wissen und Wollen, von
einer höheren Hand geleitet, wenn auch nur vorübergehend,
Dinge mittheilt, die ihr Göttliches, poetisch-ahnungsvolles
Gepräge nicht verkennen lassen.
Hoffmann ist gross in jeder der genannten Märchengattungen
. Um aber nicht ausführlicher zu werden, wie es
ohnehin geschieht, wollen wir nur zweien Dichtungen näher
treten.
„Der goldne Topf" (VII. 252 ff.) ist nichts Geringeres
als ein Lobgesang auf eine poetisch - übersinnliche Weltanschauung
, welche ihrem Besitzer das erträumte Glück
und die ersehnte Seligkeit bringt.
Der Student Anseimus rennt am Himmelfahrtstage einem
alten Apfelweibe den Korb um. Sein Geld zur Entschädigung
hingebend, ist ihm die Festtagsfreude genommen. Schmollend
und sinnend setzt er sich unter einen Hollunderbaum.
Siehe! Da fangt es in den Blättern und in den Zweigen an,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1887/0357