http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1887/0358
346 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 8. Heft. (August 1887.)
zu flüstern und zu lispeln, und die Blüthen ertönen wie
aufgehangene Krystallglöekchen. Anselm meint, der Abendwind
streiche durch das Laub. Lauter wird's. Ein in
grünem Gold erglänzendes Schlänglein blickt ihn aus seinen
dunkelblauen Augen mit unaussprechlicher Sehnsucht an*
Nie gekanntes Glück höchster Seligkeit, tiefsten Schmerzes
will seine Brust zersprengen. „'Du lagst in meinem Schatten1,
spricht der Hollunderbusch, 'mein Duft umfloss Dich, aber
Du verstandest mich nicht. Der Duft ist meine Sprache,
wenn ihn die Liebe entzündet/" Aehnlich sprechen die
Sonnenstrahlen und der Abendwind, bis mit Sonnenuntergang
der Zauber verschwindet. Aus dem süssen Traum erwacht,
zurückgestossen ins armselige Leben, geberdet Anseimus sich
wie wahnsinnig. „'Lamentir' der Herr nicht so schrecklich
in der Finsterniss, und ^exir Er nicht die Leute, wenn
Ihm sonst nichts fehlt, als dass Er zuviel in's Gläschen
geguckt — geh' Er fein ordentlich zu Hause und leg* Er
sich aufs Ohr !> — '0 nur noch einmal blinket und leuchtet
ihr holdseligen blauen Augen, ich muss ja sonst vergehen
in Schmerz und heisser Sehnsucht V" Ihn treffen endlich
seine Freunde, der Konrektor Paulmann und der Eegistrator
Heerbrand, welche ihn beruhigen und um seines Unterhalts
willen an den Archivarius Lindhorst weisen. Dieser hat
eine seltsame Herkunft. Er ist nämlich der Ur-Ur-Ur-Ur-
Enkel der Feuerlilie und des Jünglings Phosphorus, welche
ihrerseits als die ersten Keime aus dem Geiste hervorgegangen
sind, der am Anfang der Welt auf die Wasser
schaute. Anselm erkennt in der Tochter des Archivarius
Serpentine jene meergrüne Schlange aus dem Hollunderbusch
wieder. Er sieht sie in dem in wunderbaren Funken und
Flammen blitzenden Stein eines Kinges, den der Archivarius
ihm vorhält, „ . . und die dunkelblauen Augen sprechen:
'Kennst Du mich denn — glaubst Du denn an mich,
Anseimus? — nur in dem Glauben ist die Liebe — kannst
Du denn lieben?' — '0 Serpentina, SerpentinaV schrie der
Student Anseimus in wahnsinnigem Entzücken; aber der
Archivarius Lindhorst hauchte schnell auf den Spiegel, da
fuhren in elektrischem Geknister die Strahlen in den Focus
zurück, und an der Hand blitzte nun wieder ein kleiner
Smaragd, über den der Archivarius den Handschuh zog."
Der Besitz der Serpentina hätte den Anselm glücklich gemacht,
aber seine Feindin, jenes broncirte Apfelweib, der Zauberei
kundig, unterstützt die Wünsche der hübschen Feronica,
der Tochter des Konrektors Paulmann, welche den Studenten
liebt und gern „Frau Hofrath Anselmusu werden will.
Endlich werden die bösen Kräfte des Apfelweibes gebrochen,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1887/0358