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386 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 9. Heft. (September 1887.)
Worten: „II y a des erreurs dont les honmies d'esprit seuls
sont capables"*); endlich La Bruyere: „Les sciences rendent
plus spirituels les gens d'esprit, et les sots plus sots."**)
Wenn diese Aussprüche richtig sind, dann liegt in der
Wissenschaft als solcher ein der Wahrheit feindliches
Moment, und jeder Freund der Wahrheit kann nur wünschen,
dass die Wissenschaft durch das Studium ihrer Geschichte
in ihren Vertretern zur Selbsterkenntniss gebracht werden
möchte, in der schon die halbe Besserung Hegt.
Würde man den Gelehrten vorwerfen, dass sie in der
Erklärung der Erscheinungen häufig geirrt haben, so wäre
das, wenn auch wahr, doch ungerecht; denn der Irrthum
ist vom Begriffe des Menschen unzertrennlich, ja erst mit
dem Eintritt der Vernunft in den biologischen Prozess ist
auch der Irrthum eingeschlichen; wer am meisten wissenschaftlichen
Gebrauch von ihr macht, wird auch häufig irren,
leicht aber ist es, nicht zu irren, wenn man sich von der
Wissenschaft ferne hält Nicht um die Erklärung der
Erscheinungen handelt es sich im Nachfolgenden,
sondern um die Anerkennung der Existenz derselben
. Wenn die Wissenschaft sich einmal an die Erklärung
der Erscheinungen macht, dann sind diese in guten
Händen, jedenfalls in den relativ besten; aber dem Erklärungsversuche
muss die Anerkennung des Problems
vorhergehen, und die Wissensehaft war von jeher ungemein
hartnäckig, die Existenz neuer Probleme, also gerade solcher
Thatsachen anzuerkennen, aus deren Erklärung sie doch
nach endlich eingetretener Anerkennung den grössten
Vortheil zog. Es giebt also in der That einen Fehler,
welcher der Wissenschaft als solcher eigenthümlich ist.
Die Wissenschaft ist der Versuch des menschlichen
Geistes, das begriffliche Abbild der Welt zu erzeugen und
darin alle Thatsachen einzuordnen und systematisch zu verknüpfen
, d. h. den Zusammenhang der einzelnen Theile des
Ganzen aufzudecken. Die Welt ist keine blosse Summe von
Theilen, sondern ein lebendiges Ganzes; also darfauch die
Wissenschaft sich nicht mit der Registrirung der Theile
begnügen, sondern muss zum System werden. Dieses System
nun ist zwar niemals vollendet; aber wenn es einmal einen
für grössere Dauer berechneten Ausbildungsgrad erreicht
hat, vergisst man leicht den Ursprung des Systems aus der
Erfahrung und meint, künftige Erfahrungen seien nur
*) Es giebt Irrthtimer, deren nur Männer von Geist fähig sind.
**) Die Wissenschaft macht den Mann von Geist geistreicher, den
Thoren thörichter.
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