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390 Psychische Studien. XIV. Jahrg. 9. Helt. (September 1887.)
möglich. Ein Genie, wie Lavoisier, sprach den Verdacht
aus, man hätte die Steine erwärmt, und sogar ein eigentlicher
Fachmann, der Astronom Laplace, verlachte den
Glauben an Meteoriten. Ein anderer Astronom, Arago,
hatte für den Bericht des Augenzeugen Pictet über einen
weiteren Meteorfall nur die Worte: „Nous en savons assez
de fables pareilles!"*) Man kam in Paris erst dann zur
Einsicht, als 1803 bei TAigle in der Normandie aus einer
rauchenden Wolke unter Getöse Steine im Gewicht bis zu
18 Pfund auf ein Gebiet von einer Meile im Umfang fünf
Minuten lang niederstürzten. Zwar glaubte man anfänglich
in Paris nicht daran, und die aufgeklärten Zeitungen machten
sich über den abergläubischen Gemeindevorsteher lustig, der
solche Berichte an das Ministerium sende; zwei Monate
später aber sandte die Regierung den Akademiker Biet ab,
der sich von der Wahrheit überzeugte. Aber noch 1819,
als Chladni für die Existenz der Meteoriten eintrat,**) warfen
ihm die Gelehrten nicht nur Thorheit vor, sondern griffen
ihn auch noch moralisch an. So gross war noch der Unglaube
, dass — wie Chladni sagt — die meisten in den
öffentlichen Sammlungen aufbewahrten Meteoriten weggeworfen
wurden, weil man befürchtete, sich lächerlich zu
machen und für unaufgeklärt gehalten zu werden, wenn man
nur die Möglichkeit der Sache zugäbe.
Professor Zöllner sagt über den psychologischen Ursprung
dieser Furcht vor Lächerlichkeit: - „In der That entspringt
dieselbe aus der Besorgniss, es möchte die Vorstellung,
welche sich das Publikum, gleichgültig mit welchem Rechte,
von unserer Verstandesschärfe und den intellektuellen Vorzügen
unseres lieben Ichs gebildet hat, zerstört werden."
— Und im Allgemeinen sagt er, dass „zu allen Zeiten selbst
bei den bedeutendsten Vertretern der Wissenschaft eine bis
zur pathologischen Erregung gesteigerte Furcht vor Anerkennung
neuer Thatsachen obgewaltet hat."***)
Der Verstand hat seine geistigen Gewohnheiten so gut,
wie der Körper seine physischen, und wissenschaftliche
Systeme sind nur der begriffliche Ausdruck für unsere
geistigen Gewohnheiten. Die Grenzen des Systems hält man
für Grenzen der Natur, den subjektiven Horizont für die
Grenze der Weit. Damit wird aber praktisch die Entwicklungsfähigkeit
der Wissenschaft beseitigt, die man in
der Theorie doch zugiebt; denn durch Erfahrungen, wodurch
*) Deutsch: „Wir haben genug ähnliche Fabeln!"
**) Chladni: „Ueber Feuermeteore und die mit denselben herabgefallenen
Massen." Wien 1819.
***) Zöllner; „Wissenschaftliche Abhandlungen." III. 5. 8.
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